Rezension

Jenseits der BILD-Titelseite

Mythos Überfremdung - Doug Saunders

Mythos Überfremdung
von Doug Saunders

Bewertet mit 4 Sternen

Eine Abrechnung. “Unsere von Sarrazin geprägten Vorstellungen über muslimische Einwanderung sind falsch.”

Im Rahmen seiner Recherchen zu Arrival City entstand direkt das nächste Buchprojekt für Doug Saunders. Eine Auseinandersetzung mit dem Mythos Überfremdung. In Deutschland haben ja besonders die populistischen Bücher des Herrn Sarrazin für Aufsehen gesorgt, in anderen europäischen Ländern sieht es aber auch nicht sehr viel anders aus.

Daher halte ich dieses Buch für ein wichtiges. Denn es setzt den Theorien und Parolen, die leider immer mehr auch im Mainstream angekommen sind nüchterne Fakten entgegen und beweist auf diese Art, dass es hier hauptsächlich um saftige Schlagzeilen und wenig unterfütterte Vorurteile geht.

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt.
Im ersten Teil erklärt Saunders die Ausgangslage, die bekanntesten und weitläufigsten Vorurteile und vermeintlich stichhaltigen Argumente, dass die westliche Welt von einer Flut von Muslimen überschwemmt wird, die uns durch höhere Geburtenraten bald als Minderheit dastehen lassen und uns mit ihrer Religion zu unterdrücken vorhaben.

Die bekanntesten Vertreter, die Saunders hier anführt sind Geert Wilders, Anders Breivik, sowie eben Thilo Sarrazin. Ihre Theorien und Argumenteionen werden kurz erläutert und in einen allgemeinen Zusammenhang in Bezug auf die Situation im jeweiligen Land gestellt.

Im zweiten Teil nun widerlegt Saunders anhand von nüchternen Fakten all diese Argumente anhand von statistischen Fakten zum Bevölkerungswachstum der Zuwanderer im Vergleich zu den Einheimischen. Er führt Statistiken zu anerkannten Untersucheungen in Sachen Integration auf und erläutert eingehend die Thematik Extremismus und dass es sich bei den Extremisten zum größten Teil um junge Männer mit einem guten Mittelklassehintergrund aus Familien handelt, die schon mehrere Generationen im Aufnahmeland leben und keineswegs um Neuankömmlinge, die ihre Religion und ihren Hass importieren.

Der dritte Teil nun befasst sich damit, dass diese Einwanderungswelle von armen ländlich geprägten Menschen in westliche Länder keineswegs ein neues Phänomen ist.
Die angeführten Beispiele sind ‘Die katholische Flut’, eine Wanderungswelle von armen und katholischen Bevölkerungsteilen, Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. Hauptsächlich verlief diese Bevölkerungswanderung aus Irland und dem südlichen Italien in Richtung Vereinigter Staaten, Kanada, aber auch nach Großbritannien.
Ebenso wie heute in Bezug auf muslimische Einwanderer, gab es damals eine Welle der Aufregung und der Angst, dass diese ihrem religiösen Oberhaupt hörigen und oft aus totalitaristischen Ländern stammenden Menschen die demokratischen Grundfesten unterwandern würden. Sie hatten im Durchschnitt mehr Kinder als die Einheimischen, ihre besonders Religiösen trugen eigenartige Kleidung (Nonnen) und sie bildeten ‘Parallelgesellschaften’. Auch unter diesen gab es Extremisten, die durch Bombenterror und ähnliches auf sich aufmerksam machten.

Sehr sehr ähnlich verhielt es sich mit der Wanderung von Juden, ‘Die jüdsche Flut’ nennt es Saunders wieder. Arme, ländliche und oft viel religiösere Juden bewegten sich aus dem russischen und schlesischen Raum in Richtung der westlichen Hauptstädte, oder noch weiter, bis nach Nordamerika. Auch diese Auswanderer sahen sich im Ankunftsland den gleichen Anfeindungen ausgesetzt wie die oben erwähnten Katholiken. Höhere Geburtenrate etc. etc.

Schnell ist auch eine ehemals angefeindete Bevölkerungsgruppe dabei wenn man sich einer neuen Einwanderungswelle gegenüber sieht. Da werden dann die gleichen Vorurteile wieder auf den Tisch geholt, denen man vorher selbst ausgesetzt war und man bildet eine harmonische Einheit mit den vorherigen Fremden.

Der vierte Teil schließlich richtet sein Augenmerk auf etwas, dass uns wirklich Sorgen machen sollte. Das ist erstens ‘Die Erfindung eines muslimischen Volkes’, das es so nicht gibt. Bei der Gesellschaftsbildung hat die Religion keinen besonders hohen Stellenwert. Muslime aus Nordafrika, haben mit Muslimen aus Indonesien oder Indien meist nicht mehr gemeinsam, als den Besuch in der Moschee.
Das sind vor allem die Gegebenheiten in den Ankuftsländern, die den Zuwanderern oftmals keine Chance lassen, sich im Maße ihrer Möglichkeiten in die Gesellschaft zu integrieren.

Alles in allem ein Buch, das es wirklich zu lesen lohnt. Weit entfernt von BILD-Schlagzeilen und Sarrazin-Populismus. Nüchterne Fakten, klare Argumentationen und keine Verklärung. Bitte mehr davon!