Rezension

Jüngere deutsche Geschichte einfühlsam erzählt

Margos Töchter
von Cora Stephan

Bewertet mit 4 Sternen

Jana Seliger bekommt 2011 Einsicht in die Stasi-Akte ihrer Adoptivmutter Leonore Seliger und somit die Chance darauf, mehr über Leonore und vielleicht auch deren tödlichen Autounfall zu erfahren.
Im ersten Teil des Romans werden vor allem das Leben und die Ansichten von Leonore beschrieben, die in den Sechzigern Teenager in der BRD war. Im zweiten Teil geht es dann um Clara, die einige Jahre älter als Leonore und in der DDR groß geworden ist. Zwischendurch gibt es Einschübe aus dem Leben von Jana, der Enkelin von Margo und der Adoptivtochter von Leonore. Insgesamt umspannt der Roman einen zeitlichen Rahmen von den Sechzigern bis 2011, mit Schwerpunkt auf den Sechziger- bis Achtzigerjahren. Es wird beschrieben, wie (unterschiedlich) Leonore und Clara leben, was ihre Ziele sind und wie sich die politische und gesellschaftliche Situation auf ihr alltägliches Leben auswirkt.

Besonders den ersten Teil des Romans, der sich hauptsächlich mit Leonores Geschichte beschäftigt, habe ich sehr gerne gelesen und beim Lesen gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht. Mit dem zweiten Teil um Clara habe ich mich im Verhältnis etwas schwerer getan, vielleicht auch weil ich Clara als Charakter für mich zunächst nicht einordnen konnte. Es hat etwas Zeit gebraucht, bis ich Clara als Protagonistin besser verstehen konnte und ich sie als komplexeren Charakter wahrgenommen habe. Die Protagonistinnen Jana und Leonore, aber auch zum Beispiel Leonores Mutter Margo, sind sehr vielschichtige Charaktere.

Durch die Perspektiv- und auch Zeitenwechsel setzt Cora Stephan sukzessive Puzzleteile zusammen, sodass langsam ein größeres Verständnis für das Geschehene, und auch die Gründe dafür, entsteht. Die Auflösung der Familiengeschichte ging mir dann im dritten Teil des Romans jedoch etwas zu schnell, einiges hatte sich für mich schon abgezeichnet, anderes hat mich doch noch überrascht.

„Margos Töchter“ ist ein Roman, in dem es sehr viel um die jüngere deutsche Geschichte und Politik geht. Ein bisschen Vorwissen und vor allem Interesse sollte vorhanden sein, um einigermaßen folgen und begreifen zu können, wie sich ein Ereignis auf die Gesellschaft ausgewirkt und welche Bedeutung es hat. Nachhaltig haben mich die Schilderungen zur Situation in den Siebzigern beeindruckt, als die Angst einen großen Platz im Alltag eingenommen hat. Interessant war für mich auch das Meinungsbild in der BRD bezüglich der DDR. Da ich selbst das geteilte Deutschland nicht mehr erlebt habe, habe ich wirklich viel gelernt, vor allem über das alltägliche Leben in der entsprechenden Zeit. Cora Stephan erzählt einfühlsam Geschichte aus der Perspektive von zwei Frauen und hat mir die Sorgen und Probleme dieser Zeit näher gebracht.

Obwohl ich bei Familiengeschichten tendenziell eher skeptisch bin, hat mich „Margos Töchter“ beeindruckt. Durch den großen Anteil Politik und das Voraugenführens der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen von Politik auf das alltägliche Leben der Menschen, hat der Roman bei mir einen Sog erzeugt. Ich habe „Margos Töchter“ wirklich gern gelesen und bis auf den Beginn des zweiten Teils um Clara ist der zu Beginn entstandene Sog auch nicht abgerissen. Wer sich für Geschichte und Politik UND eine realistische Familiengeschichte über einige Jahrzehnte interessiert, für den oder die ist „Margos Töchter“ auf jeden Fall empfehlenswert. Das ich den ersten Roman um Margo nicht gelesen habe, war kein Problem für das Verständnis und ich hatte auch keine Schwierigkeiten, in die Geschichte hineinzukommen.