Rezension

Juli Zeh - Unterleuten

Unterleuten
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

Kurzbeschreibung: 
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist... *Quelle*

Zur Autorin: 
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman „"Adler und Engel" (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015).

Meinung: 
Unterleuten, ein kleines Dorf in Brandenburg mit knapp 200 Einwohnern, ist auf den ersten Blick ein Postkartenidyll. Die Bewohner sind eine eingeschworene Gemeinschaft, die ein für sie bewährtes System leben: unter Nachbarn Gefallen tun und Gefallen schuldig sein. Doch mittlerweile zieht es immer mehr Städter aufs Land, die misstrauisch beäugt werden.

Als dann noch eine Windkraftanlage gebaut werden soll, brechen alte, schon fast vergessene Wunden im Dorf auf und die Gemeinschaft droht daran zu zerbrechen.

Juli Zeh hat mit Unterleuten einen zeitgenössischen Gesellschaftsroman geschaffen, der seinesgleichen sucht und mich mehr als beeindruckt zurückgelassen hat.

Sie schildert mit einer solchen Authentizität das Dorfleben, als würde man sich selbst beim Lesen dort befinden und den Bewohnern über die Schulter schauen, was mich sofort heimelig in der Geschichte werden ließ.

Die Bewohner, die zu Wort kommen, sind zahlreich, sodass ich nicht alle namentlich nennen möchte. Herausstechen hier z.B. das junge zugezogene Paar Linda und Frederik. Linda ist eine ehrgeizige junge Frau, die gerne eine Pferdezucht aufbauen möchte und dafür wortwörtlich alles tut, während Frederik eher zurückhaltend ist und sich ihren Plänen unterwirft. Ferner lernt man noch Jule und Gerhard kennen, er ein ehemaliger Professor, mittlerweile Vogelschützer, sie seine frühere Studentin, die beide von ihrem Nachbarn Schaller drangsaliert werden.

Als letzte Schlüsselfigur wäre da noch Gombrowski, das heimliche Oberhaupt der Dorfgemeinschaft, der die damalige LPG in eine Erntegemeinschaft umwandelte und zahlreiche Arbeitsplätze schuf, mit seiner Familie aber kein glückliches Händchen hatte.

Durch die Planung der Windkraftanlage, die im Dorf entstehen soll, sucht nun jeder nach seinem eigenen Vorteil und zeigt sein wahres Gesicht. Während einige dagegen sind, die Landschaft von diesen Propellergebilden verschandeln zu lassen, möchten andere wiederum gewinnbringend ihr Stück Land, das für den Bau benötigt wird, verkaufen und schrecken nicht vor Betrug und Lügen zurück. Am Ende wird in Unterleuten nichts mehr so sein, wie es war.

Juli Zeh wirft einen Blick auf das Dorfleben, wie es authentischer, spannender aber auch entlarvender und schockierender nicht sein könnte. Die Charaktere sind bis ins Detail ausgefeilt, oft nachvollziehbar, andererseits rufen manche auch ein ungläubiges Kopfschütteln hervor. Ein eigener kleiner Kosmos eben, der den Leser in sich aufsaugt, was auch daran liegt, dass erwähnte Webseiten, wie die von Vogelschützer Gerhard Fließ und von der Kneipe "Märkischer Landmann" real existieren und man sich diese im Internet anschauen kann.

Das Ende ist durchaus zufriedenstellend, in einigen Fällen der Charaktere dramatisch, aber auch zwangsläufig unabdingbar. Und somit verlasse ich Unterleuten nach einem Kurzurlaub, der mich nachdenklich zurücklässt, denn von dem anfangs vermeintlichen Idyll ist am Ende kein bisschen mehr übrig.

Fazit: 
Wer auf der Suche nach einem kritischen Gesellschaftsroman ist, sollte Unterleuten auf jeden Fall lesen. Dieser Roman unterhält und schockiert zugleich und sucht seinesgleichen. Absoluter Lesetipp!