Rezension

Junges Glück

Glück am Morgen - Betty Smith

Glück am Morgen
von Betty Smith

Bewertet mit 5 Sternen

Betty Smith's Glück am Morgen ist im Vergleich zu ihrem bekannteren Werk Ein Baum wächst in Brooklyn vor allem eines: unschuldiger. Augenscheinlich.

Die Geschichte um die Jungverheirateten Annie und Carl, deren erstes Ehejahr wir in Glück am Morgen begleiten, trieft einerseits vor Liebe, andererseits bietet es, gerade vor dem Hintergrund des geschichtlichen Abstandes (der Roman spielt 1927) einiges an Anregungen, um über unser extrem privilegiertes Leben heutzutage nachzudenken.

Carl ist Jurastudent und Annie folgt ihm aus Brooklyn in den Mittleren Westen, als sie volljährig wird und die beiden heiraten dürfen, gegen den Willen ihrer beiden Familien. Die beiden bilden hinfort ihr eigenes kleines Universum, in dem sie hauptsächlich umeinander kreisen. Annie ist fasziniert vom Collegeleben und entdeckt ihre Liebe zur Literatur und zum Schreiben, Carl muss sich der Herausforderung, eine Frau und sich selbst zu versorgen und gleichzeitig Bestnoten im Studium zu erzielen, stellen. Durch ihre Herzlichkeit und Offenheit finden die beiden aber schnell Anschluss und herzensgute Unterstützer und da sie sich selbst auch in schwierigen Zeiten (und die stehen insbesondere bevor, als Annie - nicht überraschend - schwanger wird) immer wieder gegenseitig zu erden vermögen, ist der Leser nicht besorgt, dass die beiden irgendetwas nicht schaffen könnten.

Betty Smith vermag es in unvergleichbarer Weise, Menschen zu verstehen. Sie kann unterschiedlichste Charaktere ersinnen und jeden von ihnen mit einer Aufrichtigkeit beschreiben, die es einem schwer macht, die jeweilige Person nicht zu mögen. Daher wimmelt es in Glück am Morgen vor liebenswerten, weil 'realen' Charakteren, die man sich wunderbar 'in echt' vorstellen kann. Interessanterweise fasst Annie dieses Talent im Roman sogar in eigene Worte, im Rahmen ihres Literaturkurses. 

Betty Smith hat die Geschichte angeblich (zumindest zum Teil) autobiografisch angelehnt, und man kann ihr nur wünschen, dass sie ähnlich glücklich erfüllt - sowohl vom Schreiben wie auch von der Ehe - war, wie Annie. Der Leser von heute kann - so meine Meinung - unglaublich viel aus diesem, augenscheinlich eher harmlosen, Roman lernen. Darüber, wie normal 'Armut' (die aber vielleicht gar nicht als solche empfunden wurde) früher war, wie wichtig es sein kann, auf freundliche Mitmenschen angewiesen zu sein, was Verantwortlichkeit und Menschlichkeit wirklich bedeutet, wie eine Ehe funktioniert und was Liebe ausmacht. Es geht dabei nicht um perfekte Charaktere, die immer alles richtig machen, sondern um zwei Menschen, die sich füreinander interessieren und sich gegenseitig unterstützen, auch wenn sie sich nicht immer verstehen oder einer Meinung sind. Das ist eigentlich recht einfach, aber heutzutage leider alles andere als selbstverständlich. 

Der Roman ist aufgrund des lockeren Umgangstones der Protagonisten stellenweise durchaus humorig zu lesen und fliegt geradezu dahin. Der Literaturkurs, den Annie besucht und dessen Ergebnisse auch der Leser kennenlernt, führen zu einigen weise anmutenden Zitaten über das Schreiben und die Menschen. Dieses Buch ist ein Juwel, der in einer harmlosen Hülle daher kommt und dessen Wert leider wohl in Zukunft immer schwieriger zu erkennen sein wird.