Rezension

Jussi Adler-Olsen - Erbarmen

Erbarmen - Jussi Adler-Olsen

Erbarmen
von Jussi Adler-Olsen

Bewertet mit 4 Sternen

Carl Mørck hat als Polizist das erlebt, wovor sich wohl jeder Beamte fürchtet. Bei einem Einsatz wird auf ihn und seine zwei Kollegen geschossen. Ein Streifschuss in die Schläfe setzt den Polizisten über Wochen außer Gefecht. Doch seine beiden Kollegen trifft es noch schlimmer. Einer stirbt und der zweite ist seither gelähmt ans Bett gefesselt. Dieses Ereignis hat Mørck den Lebensmut genommen und ihn zum Zyniker werden lassen. Seine Rückkehr in den aktiven Dienst gestaltet sich daher dementsprechend schwierig. Mit ihm ist einfach nicht zusammenzuarbeiten. Carl ist mittlerweile mehr der einsame Wolf, also muss eine Lösung her. Seine Vorgesetzten richten das Sonderdezernat Q ein, in dem Carl nicht nur der Chef sondern auch einziges Mitglied ist. Seine Aufgabe wird es sein, alte unaufgeklärte Fälle wieder aufzurollen und wenn möglich, auch zu lösen.

Ein ungewöhnliches Ermittlerduo startet durch

Zur Seite gestellt wird ihm lediglich der muslimische Assad, der allerdings lediglich Kaffee kochen und putzen sollte. Doch der scheint sich, im Gegensatz zu seinem Chef, wirklich für den Fall zu interessieren, für den sich Carl entschieden hat. Merete Lynggaard verschwand vor Jahren spurlos von einer Fähre, auf der sie mit ihrem behinderten Bruder unterwegs war. Es tauchte nie eine Leiche oder ein Lebenszeichen von ihr auf. Ist die junge aufstrebende Politikerin von Bord gegangen und ertrunken? Oder wurde ihr Gewalt angetan? Carl macht sich gemeinsam mit Assad auf die Suche nach Antworten und merkt schnell, dass die Geschichte tiefer geht als zuerst gedacht.

Erbarmen ist der Auftaktband der Sonderdezernat Q-Reihe. Und bei der spalten sich die Meinungen, die ich bisher so gehört habe. Viele Blogger schwören auf Adler-Olsen und können es kaum erwarten, das neuste Werk aus der Buchhandlung zu holen. Privat wurde mir aber eher immer abgeraten bzw. mir wurde zumindest gesagt, dass die Storys nicht sooo toll sind. Klar, dass ich da neugierig wurde. Aber so richtig schlau bin ich auch hinterher noch nicht.

Tatsächlich konnte mich Adler-Olsen mit der Idee seines Kriminalfalles total überzeugen. Kein Mord, kein Totschlag und trotzdem Spannung ohne Ende. Das gelingt nur den wenigsten Thrillerautoren. Interessant war auch einmal der etwas andere Einstieg in ein Buch dieses Genres. Meist bekommt man als Leser ja zunächst einen eher verschwommenen Einblick, wie das Opfer dem Täter zum Opfer fällt oder was dieser mit seiner Beute in Gefangenschaft anstellt. Zu dem Zeitpunkt, in dem man als Leser hier hinzutritt, ist das Verschwinden von Merete schon Monate her. Das ist eindeutig ein Pluspunkt auf der Haben-Seite.

Dem stand allerdings stellenweise die Komplexität entgegen. Versteht mich nicht falsch, ein Thriller darf gerne vielschichtig sein. Es darf gerne verstrickt und ein bisschen kompliziert sein. Jussi Adler-Olsen packt hier aber eine Vielzahl von Charakteren in seine Geschichte, die kaum bis gar nicht auftreten, nachher den Namen ändern, sich als andere ausgeben… Ist man da nicht komplett bei der Sache, verliert man schnell den Anschluss.

Erschwert wird ein Durchblick auch dadurch, dass, wie gesagt, viele Personen gar nicht aktiv auftreten, sondern nur in der Schilderung des Buches oder während Dialoge zwischen zwei anderen Personen erwähnt werden. Mir viel es da schwer, ein Bild zu erhalten, was mir eine Zuordnung erleichtert hätte.

Allgemein hatte ich oft das Gefühl, als würde man ein Geschehen nicht wirklich miterleben, sondern nur erzählt bekommen. Da Erbarmen mein erstes Adler-Olsen Buch war, kann ich nicht sagen, ob das ein charakteristischer Schreibstil von ihm ist, aber damit hat er sich auf jeden Fall von der Masse seiner Kollegen abgesetzt.

Das Buch besticht allerdings durch ein sehr skurriles Ermittlerduo. Carl Mørck ist ein typischer Querschläger, der immer links geht, wenn alle anderen rechts wollen. Sein Chef möchte ich nicht sein, denn nicht nur, dass er kaum mit den Kollegen zusammen arbeiten kann, auch Beförderungen und Lehrgänge lehnt er kategorisch ab. Assad dagegen ist die Motivation auf zwei Beinen. Obwohl er von Polizeiarbeit scheinbar gar keine Ahnung hat, drängt er Carl immer wieder voran. Die Putzhilfe bringt sich und seine Kultur dabei auch immer wieder gerne ein, wenn es vielleicht nicht so gewünscht ist. Diese beiden vergisst man so schnell auf keinen Fall.

Fazit

Der Auftaktband der Sonderdezernat Q-Reihe bleibt einem auf jeden Fall im Gedächnis, egal, ob man das Buch gut fand oder nicht. Ein eigenwilliger Schreibstil, ein sehr ungewöhnliches Ermittlerduo und eine mitreißende Story sorgen dafür. So richtig vom Hocker reißen konnte mich Erbarmen nicht, aber gut unterhalten gefühlt habe ich mich auf jeden Fall. Neugierig auf die Nachfolger bin ich trotzdem, da die Idee des Dezernat Q mit seinen bereits kalten Fällen viel Potenzial bietet. Schändung, Teil 2 der Reihe, wird definitiv bei mir einziehen.

 

© Nellys Leseecke