Rezension

Kafka gegen Brexit...

Die Kakerlake - Ian McEwan

Die Kakerlake
von Ian McEwan

Bewertet mit 3 Sternen

Etwas erstaunt war ich schon, dass so kurz nach dem Erscheinen seines letzten Romans (Maschinen wie ich) nun bereits ein neues Buch von Ian McEwan auf den Markt kam. Gerade einmal 144 Seiten - wirklich ein Roman, wie es auf dem Cover steht? Nun, McEwan selbst bezeichnet sein neuestes Werk als Novelle, für mich ist es am ehesten eine Parabel, zumindest aber eine Parodie. Aber sei's drum. Wie war es denn nun?

Um es vorwegzunehmen: diesem Werk ist anzumerken, dass der Autor es eilig hatte. Zu groß die Sorge, dass die aktuellen Ereignisse in Großbritannien die Geschehnisse in dieser Erzählung überholen könnten. Denn hier geht es - wenn auch nicht einmal mit Namen erwähnt - um den Brexit, auf den die Briten blindlings zustolpern, die Gefahren leugnend, die McEwan durchaus sieht. Durch die Hast beim Schreiben lässt der Text die sonstige Sorgfalt vermissen, die subtilen Feinheiten, die gewohnte Eleganz. Die Sprache ist zwar gewohnt klar und präzise, und auch der schwarze Humor findet sich hier stellenweise, doch wirkt das Setting nicht wirklich bis ins letzte durchdacht, und manche Details kommen einfach recht platt rüber.

So kehrt Ian McEwan beispielsweise Kafkas bekanntes Werk 'Die Verwandlung' einfach um. Hier verwandelt sich nicht ein Mensch über Nacht plötzlich in einen Käfer, sondern eine Kakerlake erwacht als Mensch - und zwar nicht als irgendein Mensch, sondern als der britische Premierminister. Zwar beteuert McEwan, dass Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Kakerlaken rein zufällig seien, doch sind Paralellen zu Boris Johnson unverkennbar, und auch einige andere Vertreter der Regierung lassen sich in dem Stück erkennen. So interessant der Ansatz der Verwandlung jedoch zu Beginn erscheint, so wenig spielt er letztlich wirklich eine entscheidende Rolle - schade eigentlich. Herauslesen lässt sich dabei für mich höchstens, dass auch in der Realität etliche Briten samt Regierung derzeit wie fremdgesteuert wirken und dass niemand mit gesundem Menschenverstand tatsächlich so etwas wie den Brexit zulassen würde.

Zwar nennt McEwan den Brexit nie beim Namen und setzt eine andere absurde Entwicklung an dessen Stelle, aber jedem, der in den letzten Monaten Nachrichten las, ist klar, was eigentlich gemeint ist. Beim Lesen setzte bei mir eine zunehmende Ernüchterung ein. Es wird durchaus deutlich, was McEwan von der absurden Lage in Großbritannien hält - doch gelingt es ihm nicht, mit seinem satirischen Ansatz die politische Wirklichkeit in seinem Land zu übertreffen. Meine Ernüchterung hielt leider bis zum Schluss an, zumal auch das Ende für mich wenig elegant war.

Mit der heißen Nadel gestrickt - so sagt man doch so schön - wurde dieses Werk wohl. Wie recht McEwan es mit seiner Eile hatte, zeigen die gerade erzielten Wahlergebnisse - doch wer hätte angesichts des grandiosen Populismus schon jemals auf die Stimme der Vernunft gehört? Populismus regiert die Welt. Intellektuelle wie McEwan haben  recht, dagegen zu mahnen und mit ihrer Waffe - dem Schreiben - dagegen anzugehen. Aber ich fürchte, hier lesen die Falschen...

Alles in allem: ambitioniert und mit greifbarer Empörung, jedoch ohne die gewohnte Eleganz...

 

© Parden