Rezension

Kampfansage

Krass -

Krass
von Martin Mosebach

Bewertet mit 3 Sternen

Das Buch hat mich provoziert. Mit Absicht. Es wollte mich angreifen, mich richtiggehend anstacheln. Es war von Anfang bis Ende kampfeslustig.

Ich bin ein friedliebender Leser. Ein Leser, der sich gerne auf Herausforderungen einlässt, sich auch mal andere Blickwinkel anschaut und sich Meinungen anhört, die widerstreben. Mit all dem komme ich in einem Buch klar, weiß ich doch, dass wir am Ende das Gleiche wollen: eine unterhaltsame Geschichte. Also kein Grund zu streiten. Aber dieses Buch war anders. Es hat mich provoziert. Mit Absicht. Es wollte mich angreifen, mich richtiggehend anstacheln. Es war von Anfang bis Ende kampfeslustig.

Auch wenn ich das zu Beginn noch nicht kapiert habe. Da hat sich das Buch erst einmal auf die Lauer gelegt, wollte mich aus der Reserve locken. Die Geschichte beginnt mit einer Reisegemeinschaft, die in ihrem Zustandekommen und ihrer Zusammensetzung etwas eigenartig ist. Etwas aus der Zeit gefallen – einen Charakterzug, den dieses Buch immer wieder zeigt, nicht zuletzt in der alten Rechtschreibung, die beim Lesen immer wieder unangenehm ins Bewusstsein sticht. Die Reisegruppe bewegt sich in und um Neapel. In erster Linie wird viel gegessen, getrunken und klug dahergeredet. Im Zentrum, meist stumm, aber von einer unausweichlichen Autorität, ist Ralph Krass. Er wacht über die Truppe, lenkt sie und finanziert sie aus einer scheinbar endlosen Geldquelle, deren Ursprung niemand so wirklich kennt oder kennen will. Die Erzählung rauscht hier so dahin. So schnell wie die Reisetage vergehen, blättern sich auch die Seiten um. Die Kapitel sind kurz und die häufigen Personenwechsel lassen mich als Leser zwar anfangs immer wieder in die Orientierungslosigkeit fallen, sind aber dabei abwechslungsreich und präsentieren immer wieder aufs Neue einen spannenden Gedanken und Blickwinkel. Dabei blitze auch hier schon immer öfters das auf, was mich danach erwartet: ein Kampf.

Der Autor scheint einen unerschöpflichen Fundus an Metaphern und Vergleichen zu Königen und Kriegsherr angesammelt zu haben, um sie nun alle über dieser Geschichte auszuschütten. Zu Beginn dachte ich wirklich noch es sei ein nettes Sinnbild, das sich immer wieder perfekt in die Handlung einpasst, bis ich dann begriffen habe, dass es dem Autor um den Kampf selbst gehen muss. Abrupt reißt er mich aus dieser Neapelreise heraus, der es ohnehin immer schwerer gefallen ist, ihr wahres Gesicht zu verstellen, und lässt sich erneut neben die Zeit fallen. Dieses Mal fällt es mir schwerer mich zu Recht zu finden, und dieses Mal spart sich das Buch die Maskerade: jede Beziehung ist ein Kampf, jeder ist alleine, muss versuchen aus sich und dem, was andere sich abluchsen lassen, das Beste für sich selbst zu machen. Solidarität ist ein seltenes Gut. Taucht es doch mal auf, wirkt es so unwahrscheinlich, dass ich ihm nicht mehr trauen will. So kämpft das Buch einen schleichenden, hässlichen Kampf. Nicht nur, weil die Seiten sich nun immer öfters in die Länge ziehen, auch weil das Buch tatsächlich das Hässliche in den Fokus stellt. Kein Mensch ist hier schön. Und sie alle werden von dem Autor in bittere Armut, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit gedrängt. Ich will das nicht hinnehmen. Ich lese immer weiter, weil ich nicht akzeptieren will, dass das Buch mich zu Beginn so listig in die Ecke gedrängt hat, aus der ich dann nur hoffnungslos zusehen kann, muss und will, wie alles immer düsterer wird.

Krass ist der vermeintliche Kriegsherr in diesem Buch. Charismatisch, unnahbar, unbesiegbar. Und doch muss er kämpfen, um am Ende immer noch als König da zustehen. Krass ist dieses Buch, der Kriegsherr, der mich zum Feind und Unterworfenen erklärt hat, ohne mir vorher eine Kriegserklärung zu machen. Krass hat mich einfach rücklings überwältig und mich damit wohl tatsächlich besiegt – aber fair war das nicht.