Rezension

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Kann ich gleich zurückrufen?

Kann ich gleich zurückrufen? - Barbara Streidl

Kann ich gleich zurückrufen?
von Barbara Streidl

 Die Familie wohnt in einer Wohnung mit Busanbindung und wird regelmäßig von einer Putzfrau und der Mutter der Mutter unterstützt.
 
 Das Buch ist in Tagebuchform geschrieben und geht von Montag bis inklusive darauffolgenen Montag, die Mutter schreibt in der ICH - Perspektive. Es werden die Alltagsprobleme der Familie in Puncto Haushaltsorganisation, Kinderversorgung, ausreichender Qulitätszeit  mit dem Kind und dem Partner, berufliche Verpflichgungen, Arbeitsweg, erkranktem Kind und der Koordination all dieser Aufgaben beschrieben. Hierbei zitiert die Autorin auch aus statistischen Quellen, wir haben es hier also mit der gehobenen "Durchschnittsfamilie"  zu tun. Beide Chefs sind schon ältere Semester und haben ein nach wie vor konservatives Rollenbild. Die Mutter hat nach 2 Jahren "Babypause" wieder ihren alten Job in der Projektleitung (mit Assistentin) zurückbekommen, der Vater arbeitet auf eine Beförderung  hin. Die Großmutter ist sehr modern und sieht ihre Selbstverwirklichung auch nicht im ständigen "Sitten" des Enkels, sondern möchte autonom leben.
 Mehr kann und will ich mich auch zum Inhalt verraten, damit die Lektüre spannend bleibt. Ich bemühe mich auch, meine Meinung so spoilerarm wie möglich zu gestalten.
 
 MEINUNG:
 Wegen der Aufmachung des Buches (Farbe, Piktogramm, Titel, Untertitel) habe ich Chick Lit erwartet, jedoch ein sozialkritsches Buch, ohne Lösungsansatz, bekommen. Das entspricht nicht dem, was ich mir gewartet und gewünscht habe, da ich mich ein Stück weit  um locker-leichtes Lesevergnügen betrogen gefühlt habe - wegen der falschen Erwartungshaltung.
 
 Die Recherchearbeit des Buches ist jedoch gut, das statische Material richtig gelesen und gut in die Handlung eingearbeitet. Jede Mutter (egal, ob berufstätig oder nicht) wird sich ein Stück weit in diesem Buch finden. Leider zeigt es nur Missstände auf, gibt  aber weder individuelle noch gesellschaftliche Ratschläge zur Verbesserung, daher bewerte ich das Buch mit unterdurchschnittlich.
 
 Aus meiner Sicht ist das Buch auch eine extrem positive Übertreibung. Aus wirtschaftlichen Überlegungen (damit ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag und damit eine richtige Einstufung ins Entlohngsschema bekomme), bin ich sofort nach dem Mutterschutz wieder  Teilzeit (75 % für ein Jahr) und danach wieder Vollezeit (mit Überstunden und allem drum und dran) wieder arbeiten gegangen. Während des ersten Jahres war mein Mann in Karenz und wird noch bis zum 3. Geburtstag in Teileit (60%) bleiben. Seit dem ersten Geburtstag  "muss" mein Kind täglich von 7 bis 16 Uhr in die Krippe, was ihm aber nichts ausmacht, meist gefällt es ihm (tolle Betreuung) und er geht gerne und entwickelt sich gut.
 
 Das schlechte Gewissen in dieser Form der Mutter, und besonders in der Intensität, kenne ich nicht und kannes ihr auch nicht nachfühlen. Ich habe sehr unter der Zeit im Mutterschutz gelitten (Kind hat kaum geschlafen, Schreibaby, 3-Monats-Koliken gingen fast  nahtlos in Zahnungsbeschwerden über) - und ich genieße es auch keine Sekunde, mit meinem kranken Kind zu Hause zu sein, da ich auch dann (zumindest teilweise) weiterarbeiten muss, ich kann auch dann nicht meine Arbeitsleistung einstellen.
 
 Ebenso bin ich neidisch über die Putzfrau und die Oma, die einspringt - für mich sind zwei Tage (zu je 6 Stunden) im Jahr ein Luxus, wo sich ein Großelternteil um den Kleinen kümmert, abends mal Weggehen oder Zeit mit meinem Partner verbringen, ist leider nicht  drin (auch wegen der nötigen Arbeitsbelastung) - und eine Putzfrau könnten wir auch finanziell nicht stemmen, keine Ahnung, wieviel die Protagonisten verdienen (und auch ich musste für mein Geld studieren).
 
 Dem Bus nachlaufen mache ich nicht, das ist einfach zu spätes Aufstehen der Protagonistin (ja, ich stehe auch 1 1/2 Stunden auf, bevor wir wegmüssen, das geht halt nicht anders) und lasse mir im Weggehen (abgeben im Kindergarten) und Arbeitsbeginn 20 Minuten  Pufferzeit, die ich zwar ab und zu kaffeetrinkend herumsitze und tratsche, aber jeden Tag auf den letzen Drücker will ich nicht auftauchen, da bin ich unentspannt.