Rezension

Kann man nicht beschreiben, lies es!

Nackt über Berlin
von Axel Ranisch

Bewertet mit 3 Sternen

"Nach letzten, kraftlosen Zuckungen verebbten die lähmenden langgezogenen Schlussarkorde der tiefen Streicher, ohne auch nur ein Fünkchen Hoffnung übrigzulassen. Ich war am Ende."

Meine Meinung: 
In Abwechselnden Perspektiven zwischen Jens Lamprecht und Jannick erfährt der Leser von den vergangenen 6 Monaten und den vielen Leichen in Jens Keller. Tai spielt Gott, und versucht in Selbstjustiz Gerechtigkeit zu finden. Gerechtigkeit für Melanie, eine Mitschülerin die kurz vorher Selbstmord beginn. Jannick versucht mit sich selbst und seinen Gefühlen klar zu kommen. Diese spannende Coming of Age Story lebt durch Janny und dem Umstand dass er sehr real wirkt. Da wir die Einsicht eines typisch 17 Jährigen erleben, darf man hier als Leser nicht prüde sein. Errektionen, Masturbation, Obszönitäten, und die ständige Erinnerung daran, dass unser Janny untenrum sehr zurückgeblieben ist, können auf dauer Nerven. Und es kommt oft vor. Sehr oft. 
Alex Ranisch sagt »Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden.« . Ich glaube gerne, dass viel von Axel in Jannick steckt. Aufarbeitung des Coming Outs, des Ausgegrenzt fühlens, Mobbing in der Schule. Schön fand ich das Spiel mit den Klischees. Den Vater, der oft als wütend portraitiert wird, dann aber Jannick öfters versichert wie lieb er ihn hat. Die Eltern allgemein, bei denen man nur drauf wartet, dass eine Scheidung angekündigt wird, aber jeder Streit liebevoll endet. 
Schön auch die kleine Dramapause als die Familie zur Verwandschaft fährt und Jannick seinen Cousin besser kennenlernt. Jedes Klischee wird über den Haufen geworfen bis auf "Du bist 17 und Schwul und lebst in Berlin. Geiler kann es doch nicht werden." (frei Zitiert)
Dass Liebe Blind macht, oder man sie sich nur gerne verschönigt zeigt die Beziehung von Tai und Jannick. Janny braucht fast das ganze Buch um den wahren Tai zu sehen, nicht seine romantisierung. Und Tai hat so einige Schichten die es zu entdecken gibt. Leider wurde mir der Teil zu oberflächlich behandelt. Gerne hätte ich einen tieferen Einblick in die Figur erhalten. Dies gilt auch für den exotischen Touch seiner Herkunft. Die vietnamesische Kultur wäre ein toller Punkt der Geschichte geworden, beschränkt sich aber auf 2 Besuche und die Erwähnung von eigenartigem Essen. 
"Ich will mich mit dir verknoten. Ich will Zukunft mit dir basteln."
Das klang so gross und weit, nach einem Versprechen für die Ewigkeit.
Jens brignt die Spannung ins Buch. Alle Leichen aus seinem Keller werden ans Licht gebracht. Eine Foltermethode nach der anderen erfährt der Leser Schritt für Schritt was er sich alles hat zuschulden kommen. Das ist auch das was den Leser gebannt weiterlesen lässt. 
Gepickt mit schwarzem Humor ist dieses Buch vieles, und lässt sich nicht so recht einordnen. Eine freundin fragte mich nach der Lektüre "Ist es ein gutes Buch?" und ich konnte nicht recht drauf antworten. Es ist nicht schlecht. Aber gut? Sprachlich und stilistisch kann man sicherlich noch was machen. Aber als Debut ist es ganz solide, hat mich bis zur letzten Seite zum lesen animiert. Die Grundidee ist sehr gut. Ich kann ausserdem behaupten, dass für mich das Buch ziemlich unvergleichlich ist.
Und für alle die sich wundern was ich meiner Freundin geantwortet habe:
"Es ist nicht schlecht. Weird. Also eher gut, gut weird. Aber ja... weird. Lies es!"