Rezension

Kanzleigericht

Bleak House - Charles Dickens

Bleak House
von Charles Dickens

Bewertet mit 3 Sternen

Dieser Roman erschien 1852/53 in 20 monatlichen Fortsetzungen. Heute haben wir das Glück, dass wir nicht mehr auf die nächste Folge warten müssen, sondern das Geschehen am Stück lesen können.
Nach Einführung des Londoner Nebels beginnt eine undurchsichtige Geschichte um einen langandauernden Prozess. Esther wird vorgestellt: ein Mädchen, das ohne Eltern ihre Kindheit bei einer Tante verbrachte, bevor sie nach deren Tod in einem Mädcheninternat erzogen wurde. Sie ist ein überaus liebenswertes Geschöpf, das sich gerne um andere kümmert. Gemeinsam mit Ada und Richard kommt sie nach Bleak House.
Zwei Erzähler (Esther und ein Namenloser) schildern abwechselnd das Geschehen in und um London aus ihrer Sicht. Im Zentrum steht das Kanzleigericht – eine Institution, in der die überalteten Strukturen des damaligen britischen Staats- und Verwaltungsapparates besonders krass ausgebildet waren. Damit das Geschehen nicht zu verstaubt rüber kommt, hat Dickens nicht nur ein großes Geheimnis um die Herkunft von Esther, sondern auch Liebesgeschichten eingewoben. Zum Ende hin glaubt man sogar, einen frühen Krimi zu lesen.

Geneigten Lesern empfehle ich, sich ab Beginn der Lektüre ein Personenregister anzulegen. Denn bis zu Kapitel 27 (insgesamt sind es 67) werden etwa 80 – zum Teil sehr schräge - Personen eingeführt, deren Beziehungen zueinander schwer zu behalten sind. Auch wenn Dickens Schreibstil nicht mehr unserer heutigen, schnelllebigen Zeit entspricht, habe ich mich immer wieder köstlich amüsiert. Wo sonst liest man beispielsweise von einer „Ruine der Jugend, die nicht dem Alter gleich ist“?

Wie ich der Sekundärliteratur zu diesem gesellschaftskritischen Roman entnehmen konnte, war dies Dickens' achter Roman. Im 19. Jahrhundert fiel das Urteil meist zugunsten des Frühwerks aus, in dem er ein etwas romantisiertes Bild von England zeichnete und trotz der kritisch-realistisch erfassten Grundsituation keine unlösbaren Konflikte heraufbeschwor. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Bleak House bei uns zu seinen weniger bekannten Romanen zählt?

Erwähnenswert sind die unterschiedlichen Übersetzungen. Da ich diesen Roman ursprünglich als kostenloses Ebook in die Hand bekam (Übersetzung von Gustav Meyrink) und mich dann doch für ein gedrucktes Exemplar mit Illustrationen von Phiz (Übersetzung von Richard Zoozmann) entschied, konnte ich den Unterschied deutlich ausmachen. In meinen Augen ist die teilweise wienerisch eingefärbte Sprache von Gustav Meyrink gefälliger.