Rezension

Kein herkömmlicher Thriller

Ich bin Tess - Lottie Moggach

Ich bin Tess
von Lottie Moggach

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Leila und Tess haben sich nie zuvor getroffen, doch Leila weiß mehr als alle anderen Menschen auf der Welt über Tess. Wieso? Leila soll die Identität von Tess übernehmen, welche sich entschlossen hat, aus dem Leben zu scheiden, doch damit niemanden verletzen möchte und somit allen vorspielen will, ihr ginge es gut und da kommt Leila ins Spiel, sie soll dieses Projekt übernehmen, doch kann sie es wirklich tun? Kann sie jemanden indirekt beim Sterben helfen?

Meine Meinung:
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung worauf ich mich einlasse, wenn ich dieses Buch lese und auf den ersten Seiten war ich auch zumeist verwirrt, diese Verwirrtheit steigerte sich nach jeder Seite nur umso mehr, nicht weil die Geschichte verwirrend ist, nein, weil sie Fragen nach der eigenen Moral stellt.

Tess ist einem relativ schnell sympathisch, sie ist eine aufgeschlossene und quirlige Frau Ende dreißig, doch ihr Leben wird von einem Schatten überspannt – sie ist manisch depressiv. Ihre Gefühle fahren Achterbahn, bringen sie ans Ende ihrer Kräfte und obwohl sie selbst sagt, viele schöne Moment im Leben erlebt zu haben, möchte sie nichts sehnlicher als endlich sterben.
Leila verliert ihre Mutter auf tragische Weise, muss mit ihren Anfang zwanzig ihr Leben alleine meistern. Freunde hat sie nicht wirklich, die meiste Zeit versteckt sie sich hinter dem Computerbildschirm und schreibt in einem Philosophieforum. Bis eines Tages die Anfrage kommt, ob sie das Projekt Tess übernehmen möchte. Und vielleicht ist der Leser geneigt gleich aufzuschreien – um Himmels Willen, so was macht man doch nicht, jemand der suizidal ist, er braucht Hilfe und nicht jemanden, der einen noch in seinem Vorhaben bestärkt, aber wie steht es mit dem freien Willen? Darf man jemanden seinen Wunsch abschlagen, den letzten Weg selbstbestimmt zu gehen? Jeder wird hier eigene Antworten finden, kennt man sie doch, die Debatten um Sterbehilfe, aber dieses Buch, obwohl eigentlich ein Jugendthriller, setzt sich mit einem Thema auseinander, was so viel Gedankenmacht mitbringt.

Neben den moralischen Fragen, da wird auch das Zeitalter des Internets thematisiert, was man alles mit ihm machen kann, welche Scheinidentitäten ein jeder eigentlich auf der Stelle annehmen könnte. Was ist real, was kann man glauben, wo sollte man zweifeln? Der eigene Internetgebrauch rückt in den Vordergrund, nach dem Buch geht man sorgfältiger mit diesem Medium um, realisiert welche Macht es doch haben kann und eigentlich nicht sollte.

Ich hab mir ein paar andere Rezensionen zu dem Buch durchgelesen, weil ich neugierig war, wie andere diese beklemmende Geschichte aufnehmen und da bin ich auf einen Kritikpunkt gestoßen: fehlende Spannung. Für einen Thriller mag es stimmen, aber ich fand gerade die verwendete Sachlichkeit, mit der das Thema bearbeitet wurde so herausragend, dass ich für mich gar keine Spannung brauchte, sondern schon so gefesselt war. Wer sich jetzt aber einen energiegeladenen Thriller wünschte, der könnte durchaus enttäuscht sein.

Fazit:
Indirekte Beihilfe zum Selbstmord, verpackt in einen Jugendthriller? Klingt sonderbar, ist aber fantastisch umgesetzt und stellt Fragen nach Moral und Wertvorstellung. Wie weit darf ein Mensch gehen, wenn er andere vor Schmerz schützen möchte? Wie lange ist eine Lüge haltbar? Wie würdest du handeln?