Rezension

Kein Ladenhüter

Die Ladenhüterin - Sayaka Murata

Die Ladenhüterin
von Sayaka Murata

Bewertet mit 4 Sternen

Was für eine interessante kleine Geschichte! Ich bin gerade besonders vom treffenden Titel, der mit seiner Doppeldeutigkeit und dem leichten Augenzwinkern genau den Ton des Romans trifft, begeistert. Einen so passenden Titel findet man selten.

Die Geschichte dreht sich um die Japanerin Keiko. Schon als Kind macht sie ihren Eltern Sorgen, weil sie die Welt ohne Gefühle, nur mit nüchterner Logik betrachtet. Warum man um dem toten Sittich trauern muss, wenn man doch ohne schlechtes Gewissen totes Huhn isst, erschließt sich ihr nicht. Sie versteht die Reaktionen ihrer Mitmenschen meist nicht und wirkt selbst seltsam auf andere Leute. Damit sie ihre Eltern mit ihrem Verhalten nicht in Schwierigkeiten bringt, nimmt Keiko sich zurück, wird still und unauffällig. Erst als sie mit 18 eine Stelle aus Aushilfe in einem 24-Stunden-Supermarkt annimmt, scheint alles einen Sinn zu ergeben: Es gibt einen festen Verhaltenskodex, eine Kleiderordnung und sogar was und wie sie sprechen muss ist festgelegt. Keiko ist zufrieden mit ihrer Arbeit dort. Aber je älter sie wird, desto mehr eckt sie an mit ihrem Aushilfjob und ihrem Singledasein.

Heiraten, Kinder bekommen und zu Hause bleiben, ist in Japan weitaus angesehener, als sich als Frau 5 Tage die Woche abzurackern und „seinen Mann“ zu stehen. Genauso gelten die Männer als vollkommen nutzlos, die weder Arbeit noch Frau finden. Gegen diese ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln kommt man nicht an. Man wird belächelt und bemitleidet, weil man in den Augen der anderen nur einer zweitklassigen Arbeit nachgeht, ein zweitklassiger Mensch ist ohne Ehering und Nachwuchs. Ob es das ist, was einen erfüllt, interessiert niemanden. Das war traurig zu lesen und bringt einen gleichzeitig ins Grübeln. Murata lässt dabei keine Zweifel aufkommen was ihre Botschaft ist. Hier hätte sie gerne auch ein bisschen dezenter sein und sich die eine oder andere Wiederholung sparen können. Man hätte sie auch so verstanden.

Auch wenn es sich jetzt vielleicht so anhört: Die Ladenhüterin ist keine traurige Geschichte! Durch Keikos rationale Weltsicht ergeben sich durchaus witzige Szenen. Und sie ist auch ohne Gefühle ein durchweg sympathischer Charakter.

In Japan wird das Buch sicher als kritischer empfunden worden sein als hierzulande. Aber dafür dürften die europäischen Leser die Arbeitsabläufe im japanischen Supermarkt inklusive Morgenappell und Motivationssprüchen sehr interessant finden. Mir ging es auf jeden Fall so. Eine andere kleine Welt, die sich da auftut und in die ich mich gerne habe entführen lassen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 16. April 2018 um 21:33

Oh ja, sehr gut erkannt und wiedergegeben. Ein kleines fremdes Jadestückchen.

katzenminze kommentierte am 16. April 2018 um 21:44

Danke, das klingt hübsch. :)