Rezension

Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind.

Die Schwestern vom Ku'damm - Brigitte Riebe

Die Schwestern vom Ku'damm
von Brigitte Riebe

"Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind." Silvies Karriere beim Radio läuft gut, aber was ist mit der Liebe? Es sind „Wunderbare Zeiten“ angebrochen - so geht es mit den Schwestern vom Ku’damm im Berlin der 50er Jahre weiter.

Berlin 1952: Dank Rikes Erbe konnte das Kaufhaus Thalheim erfolgreich wieder aufgebaut werden. Rike liebt ihre Arbeit und ist traurig, dass ihr Vater ihren Bruder Oskar vorzieht, der nach 7 Jahren aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt ist. Zwischen beiden tobt ein erbitterter Machtkampf, den Oskars Zwillingsschwerter Silvie nur zu gern stoppen möchte: „Vertrag dich mit Rike, anstatt immer nur gegen sie zu kämpfen. Dein Wagemut und ihre Vorsicht ergänzen sich doch eigentlich ganz vorzüglich.“ (S. 82)

Oskar ist zwar zurück, hat den Krieg aber mitgebracht. „Sie kommen, Silvie, all die Toten sind auf dem Weg.“ (S. 15) Er kann keine Nacht durchschlafen, rast lieber in schnellen Autos durch Berlin und kennt jeden Nachtklub.

Silvie ist die einzige, die sich nicht im Kaufhaus engagiert. Sie liebt ihr freies Leben, ihre Arbeit und den Erfolg beim Radiosender RIAS. Und sie hat eine gute Nase für Trends. „Silvie hat den Wandel im Blut, von der Familie bisweilen als <<Unstetigkeit>> abgetan, dabei hat sie doch lediglich begriffen, dass nichts so bleibt, wie es ist, und alles immer wieder anders werden muss.“ (S. 11) Außerdem kann sie sehr gut mit Menschen umgehen, wie sie in ihrer Sendung „Stimmen“ jeden Freitageabend beweist. Doch privat sieht es weniger gut aus. „Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind.“ (S. 21) Ihr Lebensgefährte ist im Stasi-Gefängnis Weißensee verstorben. Da begegnet ihr der aufstrebende junge Schauspieler Wanja – könnte er ihre Zukunft sein?

 

Brigitte Riebe schließt mit „Wunderbare Zeiten“ fast nahtlos an den ersten Teil der Familiensaga „Jahre des Aufbaus“ an. Das Modekaufhaus läuft gut. Dank Rikes Mann und seiner Verbindung zu Italien kommen sie an ausgefallene Stoffe und Miriam, die in Jerusalem nicht glücklich ist, entwirft wieder ausgefallene Kleider für sie. (Interessant waren in diesem Zusammenhang die Passagen über die Grenzgänger – Menschen, die im Ostteil der Stadt, also der DDR, lebten und im Westen arbeiteten.)

Aber intern kriselt es. Oskar kennt sich nicht mit dem Geschäft aus, ist unzuverlässig, trifft allein externe Absprachen und lässt sich von ihrem ehemaligen Geschäftspartner Werner Brahm einwickeln, dem Rike und Silvie nicht trauen.

 

Während sich im ersten Band die Handlung um Rike und den Erhalt bzw. Wiederaufbau des Modekaufhauses drehte, steht diesmal Silvie etwas mehr im Vordergrund. Sie steht für die modernen Frauen der damaligen Zeit, ohne Mann und Kind, aber auf der Suche nach der großen Liebe, sehr intelligent und mit einer eigenen Karriere. Sie interessiert sich sehr das aktuelle Geschehen, Kunst und Kultur und so kann die Autorin geschickt Tages- und Welt-Politik (wie z.B. die Aufstände in der DDR und Ungarn), angesagte Schlager und Filme oder die Frankfurter Buchmesse in die Handlung einflechte. Ihr Lebensgefühl, ihre Sehnsucht nach Freiheit und ihre Freude über den Aufschwung jetzt endlich nach dem Krieg sind in jeder Zeile spürbar. Ich habe mich Silvie nahe gefühlt und mich stets in sie einfühlen.

 

Silvies kleine Wohnung wird zum Unterschlupf all derer, die sich gerade heimat- oder haltlos fühlen. „Weil du das Herz der Familie bist, Silvie. Du fühlst, wo andere denken oder urteilen, das liebe ich so an Dir.“ (S. 425) Neben ihrem Bruder Oskar wohnen auch ihrer Nichte Florentine oder deren Freundinnen aus dem Ostteil der Stadt kurzzeitig bei ihr. Dabei wird deutlich, wie sehr die Bürger der DDR zum Teil unter ihrem Staat leiden. Lebensmittel sind noch immer knapp und es gibt sie nur auf Marken und wer sich dem System nicht anpasst bekommt Ärger. Davon sind sogar schon Jugendliche betroffen, wenn sie z.B. aus religiösen Gründen nicht in die FDJ eintreten wollen. Für solche Menschen engagiert sich Silvies Onkel Carl sehr. Er lebt und arbeitet als Anwalt in der DDR und will auch dort bleiben: „Ich glaube, dass ich als Anwalt gerade dort gebraucht werde, wo die Ungerechtigkeit am größten ist.“ (S. 272)

 

Die Familie Thalheim ist insgesamt sehr groß und weitverzweigt. Die Autorin hat versucht, jedem Teil der Familie gerecht zu werden und ihn in der Handlung zu berücksichtigen. Das war mir an einigen Stellen zu viel, auch hat hier der Zufall etwas zu oft mitgemischt.

Von diesen kleinen Kritikpunkten abgesehen hat mich „Wunderbare Zeiten“ wieder sehr gut unterhalten und ich bin gespannt, wie es im 3. Teil weitergeht – steht dann Florentine im Mittelpunkt?