Rezension

Kein Plädoyer gegen den Kapitalismus, aber für mehr Gerechtigkeit

Der schottische Bankier von Surabaya - Ian Hamilton

Der schottische Bankier von Surabaya
von Ian Hamilton

Bewertet mit 4 Sternen

Mitte Oktober erreichte mich eine Rezensionsanfrage des Verlages Krug & Schadenberg. Der Verlag Krug & Schadenberg besteht seit 25 Jahren und publiziert ausschließlich lesbische Literatur. Das kann alles sein, Sachbuch, Ratgeber oder Krimi; da ich mit den ersten zwei Kategorien nicht viel anfangen kann, handelte es sich bei der Anfrage natürlich um einen Krimi. Das ist der fünfte Teil einer Serie, bei der man – so wurde mir gesagt – auch mittendrin einsteigen kann. Wobei ich bei mir recht schnell erkannte, dass mich die vorherigen Teile ebenfalls interessieren würden, denn Ava Lee ist eine mehr als beeindruckende Heldin.

Ava Lee ist ausgebildete Wirtschaftsprüferin und leitet mit ihrem Geschäftspartner ein Unternehmen. Der Geschäftspartner wird durchgehend nur Onkel genannt, dürfte tatsächlich aber Avas Großvater sein. Die Bezeichnung „Onkel“ ist im Asiatischen  eine respektvolle Anrede, wie mir die Übersetzerin des Buches auf Nachfrage erklärte. Die Familienverhältnisse von Ava sind aber ohnehin nicht die einfachsten. Ihre Freundin ist Kolumbianerin und die Hälfte ihrer Familie lebt in China, während sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in Kanada lebt. Ihr Vater hat nämlich gleich drei Familien auf drei Kontinenten – eine davon eben in Nordamerika. Ava ist zwar lesbisch, das Thema steht aber nicht im Zentrum, ja eigentlich spielt es generell nur eine untergeordnete Rolle, und das ist auch gut so – was interessiert mich, wer mit wem ins Bett geht.

Aber genau das spielt dann doch eine Hauptrolle in dem Buch, wenngleich komplett anders, als man anfangs erwartet. Es dauert nämlich tatsächlich eine Zeit lang, bis etwas Fahrt in die Handlung kommt; lange erkennt man auch keinen Krimi. Es ist zwar interessant, aber weit weg von spannend. Spätestens als Ava zu einer Sightseeing-Tour in Surabaya eingeladen wird, schlief die Handlung für mich komplett ein – das hat schon mehr von Reiseführer als Krimi. Und dann passiert die eine, die entscheidende Sache, und schlagartig haben wir nicht nur Spannung, sondern auch jede Menge Emotionalität – das ist definitiv der turning point im Buch. Aber auch bei Ava, denn diese agiert danach komplett anders als davor – wesentlich motivierter und brutaler. Ich habe selten solch eine (gerechtfertigte!) Brutalität erlebt. Der Showdown findet für mich deshalb bereits im zweiten Drittel des Buches statt.

Ian Hamilton baut auch immer wieder asiatische Kultur und Kulinarik ein – und obwohl Hamilton Kanadier ist, man nimmt ihm jede asia-spezifische Beschreibung unhinterfragt ab und merkt, dass er sich nicht nur mit der Kultur auseinandergesetzt hat, sondern sie liebt. Dass Ava Kanadierin ist und das Buch zu einem (sehr kleinen) Teil in Kanada stattfindet, ist eine Randnotiz.

Positiv hervorheben will ich noch das Genre. Ich hege normalerweise kein gesondertes Interesse für Wirtschaft – damit verbundene Zahlen sind ohnehin ein rotes Tuch für mich. Aber ich habe mich gut zurechtgefunden und hatte auch noch Spaß daran. Und auch wenn „Der schottische Bankier von Surabaya" nicht gerade ein flammendes Plädoyer gegen den Kapitalismus ist, dann doch eines für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt. Was will man mehr?

Der nächste Teil der Reihe, „Die zwei Schwestern von Borneo", kommt im Herbst 2019, möglicherweise früher.

Tl;dr: „Der schottische Bankier von Surabaya“ von Ian Hamilton ist ein Wirtschaftskrimi, der sich Zeit nimmt, um die Handlung aufzubauen und bei der man lange den Krimi sucht – bis sie dann  explodiert und einen nicht mehr loslässt. Ava Lee ist eine beeindruckende Person, die lesbisch ist, deren sexuelle Präferenz aber eine untergeordnete Rolle spielt.