Rezension

Kein schönes Buch, aber ein wichtiges...

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 3.5 Sternen

Kein schönes Buch aber ein wichtiges, unbequem aber hilfreich. Ein globaler Augenöffner zur Rolle der Frau in einem patriarchalischen System...

In einer kleinen Wohnung am Rande der Metropole Seoul lebt Kim Jiyoung. Die Mitdreißigerin hat erst kürzlich ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern – wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome: Jiyoungs Persönlichkeit scheint sich aufzuspalten, denn die schlüpft in die Rollen ihr bekannter Frauen. Als die Psychose sich verschlimmert, schickt sie ihr unglücklicher Ehemann zu einem Psychiater. Nüchtern erzählt eben dieser Psychiater Jiyoungs Leben nach, ein Leben bestimmt von Frustration und Unterwerfung. Ihr Verhalten wird stets von den männlichen Figuren um sie herum überwacht – von Grundschullehrern, die strenge Uniformen für Mädchen durchsetzen; von Arbeitskollegen, die eine versteckte Kamera in der Damentoilette installieren und die Fotos ins Internet stellen. In den Augen ihres Vaters ist es Jiyoung’s Schuld, dass Männer sie spät in der Nacht belästigen; in den Augen ihres Mannes ist es Jiyoung’s Pflicht, ihre Karriere aufzugeben, um sich um ihn und ihr Kind zu kümmern. »Kim Jiyoung, geboren 1982« zeigt das schmerzhaft gewöhnliche Leben einer Frau in Korea und gleichzeitig deckt es eine Alltagsmisogynie auf, die jeder Frau – egal, wo auf der Welt – nur allzu bekannt vorkommt.

Cho Nam-Joo hat mit ihrem Roman einen internationalen Bestseller geschrieben. Ihre minimalistische und doch messerscharfe Prosa hat nicht nur viele Leserinnen weltweit begeistert, sondern auch Massenproteste in Korea ausgelöst.

 

Ein Buch, das in Korea spielt, wird zum internationalen Bestseller? Darauf war ich sehr gespannt. Der Beginn des Romans liest sich auch tatsächlich recht faszinierend, denn hier wird geschildert, wie merkwürdig sich Kim Jiyoung plötzlich benimmt, wie befremdlich das für ihre Umgebung ist, allen voran für ihren Mann. Das macht beim Lesen neugierig, man möchte hinter die Fassade blicken - was hat dazu geführt, dass die junge Frau plötzlich beginnt, sich wie andere Frauen zu benehmen, die sie kennt, sich dessen aber offenbar nicht bewusst ist?

Damit setzt die Autorin gleich zu Beginn ein Ausrufezeichen, das im Folgenden mit Hintergrundinformationen gefüllt wird. Schnell bekommt man beim Lesen eine Ahnung - und das Unbehagen steigt. Denn die Erzählung um Kim Jiyoung hat etwas Allegorisches - wir beobachten das Verschwinden des Ichs durch die bedingungslose Erfüllung der Rollenerwartungen. Der Rollenerwartungen gegenüber dem weiblichen Teil der koreanischen Gesellschaft.

Chronologisch schildert die Autorin den Lebensweg von Kim Jiyoung, beginnend bei der Kindheit, in der schon deutlich wird, dass die Belange der Schwestern klar zurücktreten müssen gegenüber denen des kleinen Bruders. Die Selbstverständlichkeit, wie die Männer in Südkorea von klein auf hofiert werden, wie sie sich im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten der Schwestern ein eigenes Leben aufbauen können, wie die Frauen im Gegenzug auf eigene Lebensentwürfe verzichten und keine Chance haben, diesem diskriminierenden System zu entkommen - Cho Nam-Joo bringt es in nüchternem Schreibstil auf den Punkt.

Dieser nüchterne Schreibstil, der durch zahlreiche Fußnoten mit statistischen Informationen passagenweise fast ins Essayhafte abgleitet, steht im krassen Gegensatz zu dem, was gleichzeitg beim Lesen an Emotionen ausgelöst wird. Neben dem sachlich-distanzierten Bericht über die Ereignisse in Kim Jiyoungs Leben schwingt stets auch etwas Melancholisches weil Auswegloses mit, deutlich auch, dass im Roman zwar eine zugespitzte Situation beschrieben wird und dass die Bedingungen in hochtechnisierten Südkorea vermutlich noch einmal besondere sind, aber dass uns allen die dargestellten Szenarien nicht fremd sind. Das weiß man eigentlich alles, aber es hier so ungeschönt und in der Summe aller Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu lesen, hui...

Zwangsläufig zieht man (zumindest als Frau) beim Lesen Vergleiche zur eigenen Lebenssituation/Biografie oder zur eigenen Gesellschaft/Kultur - und es gibt da in der Vergangenheit wie in der Gegenwart immer wieder Parallelen oder zumindest Ähnlichkeiten. Vermutlich macht das den Roman aus, der eigentlich wenig ansprechend ist vom Stil her (sehr sachbuchhaft). Aber er legt die Finger in die Wunde. Nicht nur in die koreanische...

Kein schönes Buch, aber ein wichtiges, unbequem aber hilfreich. Ein globaler Augenöffner zur Rolle der Frau in einem patriarchalischen System. Ich finde es tröstlich, dass dieser Roman in Südkorea zu Massenprotesten geführt hat. Es ist an der Zeit, dass alle erkennen, dass es keine Menschen zweiter Klasse gibt. Auch die Männer...

 

© Parden