Rezension

Keine gute Fee, sondern eine wahnsinnige Mörderin

Dann schlaf auch du
von Leila Slimani

Bewertet mit 5 Sternen

Leila Slimanis zweiter Roman – „Dann schlaf auch du“  („Chanson douce“) – ist mitnichten ein sanftes Wiegenlied. Gleich auf der ersten Seite erfährt der Leser, dass das Kindermädchen die ihm anvertrauten Kinder getötet hat. Im Roman geht es darum, wie es dazu kommen konnte.
Paul und Myriam, ein typisches Ehepaar der Mittelschicht, haben zwei kleine Kinder, Mila und Adam. Paul arbeitet als Produzent in der Musikbranche, Myriam hat ein glänzendes Jurastudium absolviert, konnte ihren Beruf aber wegen der Kinder bisher nicht ausüben. Als ein ehemaliger Studienkollege ihr einen Job anbietet, beschließt sie, ihr häusliches Gefängnis zu verlassen, weil dieses Leben sie nicht glücklich macht. Zusammen mit ihrem Mann sucht sie ein Kindermädchen. Sie finden die 50jährige Louise, eine Frau mit Erfahrung und besten Referenzen. Schon bald wird Louise auch von dieser Familie hoch geschätzt und macht sich sowohl unsichtbar als auch unentbehrlich. Ihr Einsatz für Kinder und Haushalt übersteigt das normale Maß bei weitem. Sie nistet sich ein, will ein Teil dieser Familie sein. Aus ihrer schlimmen Vorgeschichte wird klar warum. Im Laufe der Zeit mehren sich seltsame Vorfälle, Wutanfälle, Abwesenheit. Von Louises Seite aus ist da nicht nur Liebe, sondern auch viel  Neid und Hass. Als das Finanzamt das Ehepaar über Louises Altschulden informiert, macht  Pauls und Myriams schroffe Reaktion dem Kindermädchen deutlich, dass sie keineswegs Teil der Familie ist, sondern lediglich eine Angestellte, die Weisungen entgegen zu nehmen hat. Es ist eine Frage des Klassensystems, das einen Umgang auf Augenhöhe unmöglich macht. Die Dinge steuern unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu.
Slimani hat einen Psychothriller geschrieben, der nichts an Spannung einbüßt, auch wenn man das Ende von vornherein kennt. Sie analysiert nüchtern, was mit Louise und der Familie passiert. Die Autorin hat sich von einem realen Ereignis inspirieren lassen und erörtert neben Louises Geschichte auch die Frage, wie gut man einen anderen Menschen kennt, ob es tatsächlich in Ordnung ist, wenn eine Mutter einer wildfremden Frau ihre Kinder anvertraut und sie für sich arbeiten lässt, damit sie selbst ihrem Beruf nachgehen und sich Konsumwünsche erfüllen kann.
Leila Slimani hat mich schon mit ihrem Debütroman „Dans le jardin de l´ogre“ sehr beeindruckt und gilt zu Recht als wichtige Stimme in der französischen Gegenwartsliteratur. Ein sehr empfehlenswertes Buch.