Rezension

Keine Horror-Story, aber eine gute Geistergeschichte

Später
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

Jamie ist scheinbar ein normaler Junge. Er wächst bei seiner Mutter auf und den Vater kennt er nicht. Aber er hat ein Geheimnis: Er sieht die Geister kürzlich Verstorbener und kann sogar mit ihnen plaudern. Doch als er mit einem toten Autor Verbindung aufnimmt, setzt er damit eine Kettenreaktion gefährlicher Ereignisse in Gang.

Ich liebe Stephen Kings Bücher und habe mich sehr auf „Später“ gefreut. Allein der Umfang - das Buch ist für King relativ schlank - wies darauf hin, dass es kein großer Horror-Roman wird. Dafür hat der Autor eine großartige Geistergeschichte präsentiert, die ich absolut gern gelesen habe.

„Soll ich verraten, wieso die Leute solche Bücher lesen? Weil sie dermaßen glücklich darüber sind, dass sie so eine verfickte Scheiße nicht erleben müssen.“ (S. 56)

In „Später“ erzählt Jamie seine Geschichte. Der Leser lernt ihn als kleinen Jungen kennen, der sich mit der merkwürdigen Gabe auseinandersetzt. Er sieht Tote, kurz nachdem sie gestorben sind. Es kommt hinzu, dass er mit den Toten sprechen kann und sie ihm ausschließlich die Wahrheit sagen. 

Jamie lebt mit seiner Mum in New York, wo sie als Literaturagentin arbeitet. Die eigene Agentur geht mal besser, mal schlechter. Über die Jahre hinweg gibt es herbe finanzielle Verluste zu verkraften und manchen Hoffnungsfunken zu löschen, wobei ihnen Jamies Gabe sogar aus der Misere hilft.

Allerdings hat wohl alles im Leben seinen Preis und Jamie stößt eine bösartige Kettenreaktion an, die ihm zum Verhängnis wird.

„Das Ganze hier ist wohl eine Horrorstory.“ (S. 10)

Insgesamt habe ich „Später“ als gemächlich, ruhig und nur teilweise gruselig empfunden, wenngleich die Geschichte exzellent erzählt ist und außerordentlich gut zu unterhalten weiß. Obwohl King mehrmals betont, dass es sich um eine Horror-Story handelt, hat es dafür meiner Meinung nach nicht gereicht. Für mich ist es eine feine Geistergeschichte, die auch für weniger geneigte Leser durchaus Unterhaltungspotential aufweist.

Wie immer bei Kings Büchern mag ich es, dass ich als Leser im Leben des Protagonisten willkommen geheißen werde. Jamie wendet sich direkt an sein Publikum und beginnt da, wo es seiner Meinung nach anfängt. Während der Erzählung stoppt er manchmal und verweist darauf, dass er diesen Handlungsstrang später zu Ende führen wird.

So wächst Jamie mit seiner mysteriösen Gabe auf und der Leser lernt, wie er die Geister der Toten wahrnimmt und wie er diese Fähigkeit in sein Leben integriert. Manchmal ist es beängstigend, dann wieder traurig oder schockierend, weil der Tod für den Verstorbenen auf eine brutale Weise kam. Trotzdem ist Jamie insgesamt ein normaler Junge, der die Welt für sich entdeckt.

Da sich Jamie direkt an den Leser wendet und während des Erzählens vom Kind zum Erwachsenen reift, durchläuft sogar der Schreibstil eine Entwicklung, worin sich dies spiegelt. Ich habe den Jungen sofort als sympathisch empfunden und mochte den lockeren Stil, in dem er mir vom Geschehen erzählt.

Geschickt fädelt King die Erzählstränge ein, und zeigt auf, wie ein Ereignis seinen Anfang nimmt. Er vermerkt, dass man erst später bemerkt, wie katastrophal sich eine einfache Handlung Jahre danach auswirken wird. Darin sehe ich den thematischen Kern der Story. Im Leben trifft man Entscheidungen, die in diesem Moment eher simpel erscheinen. Aber manchmal bekommt man es erst viel später mit den Konsequenzen zutun, die man ursprünglich weder in Tragweite noch Umfang erahnt hätte. 

„Wenn ich in meinen Vierzigern bin - vorausgesetzt, dass ich es bis dahin schaffe -, werde ich wahrscheinlich auf das zurückblicken, was ich mit zweiundzwanzig zu verstehen meinte, und erkennen, dass ich eine Menge überhaupt nicht verstanden habe. Es gibt immer ein Später, das weiß ich jetzt.“ (S. 9)

Meiner Meinung nach ist Stephen Kings „Später“ eine gelungene Geistergeschichte, die zwar nicht an die üblichen Horror-Storys reicht, trotzdem exzellent zu lesen ist und zu unterhalten weiß. Ich denke, dass es für jüngere Leser und Genre-Neulinge bestens geeignet ist. Und wer King ohnehin schätzt, wird trotz des niedrigen Grusel-Niveaus kurzweilige Lesestunden verbringen, während er Jamie und seine Toten kennenlernt.