Rezension

Keine Liebesgeschichte/Falscher Titel

Die Sommer mit Lulu
von Peter Nichols

Bewertet mit 3 Sternen

Nach dem furiosen Beginn des Buches, der versehentliche gemeinsame Sturz von Gerald und Lulu von den Klippen in den Tod, hatte ich wirklich mehr erwartet. Wo sind die gewaltigen Gefühle? Wo das ganze romantische Drum und Dran, was eine große Liebe ausmacht? Nichts dergleichen! Ich bin sehr enttäuscht!
Der Autor Peter Nichols lässt sich fast das ganze Buch über Zeit, aufzuklären, was so Gravierendes zwischen Gerald und Lulu vorgefallen ist.
Der Anlaß für den Haß, für die Trennung und für die unversöhnliche, sture Haltung Lulus gegenüber Gerald hat mich befremdet.

Meine anfängliche, große Sympathie für die Figur der Lulu schlug recht bald um. Sie ist eine eigenwillige, egozentrische, selbstverliebte Person, vermutlich auch „einfach gestrickt“ und oberflächlich. Obwohl des öfteren im Buch betont wird, wie gut sie aussieht, steht das Äußere im krassen Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten. Lulu scheint an einem Zusammenleben mit einem Mann nie interessiert gewesen zu sein. Ihre Ehemänner wurden ihr jeweils recht bald überdrüssig. Der arme Gerald, der bedauernswerte Bernard! Zwei liebenswerte Männer, aber wahrscheinlich zu zahm für Lulu. Die Frau weiß um ihre große sexuelle Anziehungskraft und nutzt sie dementsprechend, wie es ihr in den Kram paßt. Männer sind für sie nur Lustobjekte. Dafür gibt es viele Beispiele, besonders schockierte mich der liebestolle Übergriff auf Geralds minderjährigen Enkelsohn Charlie.

Der Umschlagtext des Romans setzte in mir Erwartungen, die ich in den mehr als 500 Seiten so nicht wiederfinden konnte (Familiensaga? Definitiv:NEIN; tragische Liebesgeschichte(n)? auch NEIN). Einen wesentlichen Grund, dass das Buch beides nicht ist, sehe ich darin, dass die Hauptfiguren Lulu und Gerald nur am Anfang und am Ende des Romans sehr präsent sind. Ansonsten gehen sie in der rückwärts erzählten Handlung in der Vielzahl der auftretenden Personen unter.
Eine Liebesgeschichte ist „Die Sommer mit Lulu“ also nicht. Es ist allenfalls die Geschichte zweier Engländer, die auf der Insel Mallorca heimisch geworden sind, sich eingerichtet haben. Gut erzählt, mit spannenden Momenten!

Glaubhaft nachvollziehbar ist am ehesten die Liebesgeschichte zwischen Luc (Lulus Sohn) und Aegina (die Tochter Geralds). Am Ende sieht es für die Beiden hoffnungsvoll aus. Vielleicht gelingt es ihnen mit Mitte Fünfzig nun doch noch ein glückliches, gemeinsames Leben zu führen. Das bleibt der Fantasie der Leser überlassen.

Zusammengefaßt:
Bei über 500 Seiten hätte ich gern mehr über Lulu und Gerald erfahren. Die Nebenfiguren nehmen zu viel Raum ein. Das Cover passt nicht. Wann waren sie dieses traute Pärchen? Wurde der Titel verfehlt in deutscher Sprache? In englischer Sprache ist er passender „The Rocks“ (Felsen).
DIE Sommer mit Lulu? Es war doch nur EIN Sommer!
Hat man den Roman von Peter Nichols richtig interpretiert? (siehe Einbandtext)

Ein großes Plus:
Wer erfahren möchte, wie rasant die Entwicklung der Insel Mallorca vom unbekannten, unentdeckten Flecken Erde zur absoluten Touristenhochburg vonstatten ging, dem kann ich dieses Buch empfehlen.
Der Autor beschreibt die traumhaft schöne Insel sehr detailreich. Die Ostküste Mallorcas mit ihrer einzigartigen Landschaft, den felsigen Küsten und den wunderbaren Höhlen sind ein Erlebnis für sich.