Rezension

Kesse Ermittlerin

Die Wasserratte von Wanchai - Ian Hamilton

Die Wasserratte von Wanchai
von Ian Hamilton

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ava Lee arbeitet freiberuflich als Wiederbeschafferin großer Geldsummen, die im Zuge privater Geldgeschäfte veruntreut worden sind. Wer sich privat Geld leiht oder einem Geschäftspartner eine Gegenleistung schuldig bleibt, kann das kaum auf juristischem Weg durchsetzen, wenn die Geschäftspartner in diversen asiatischen Ländern leben oder es kaum Belege für den Deal gibt.

In ihrem ersten Fall der Reihe geht es um den veruntreuten Betrag von 5 Millionen Dollar, der bei einem Geschäft mit Shrimps für eine US-Supermarktkette unter die Räder gekommen zu sein scheint. Ava fordert vom Aufraggeber/Geschädigten keine Anzahlung, sie wird erst dann bezahlt, wenn sie das Geld wiederbeschafft hat. Ihr Geschäftsmodell funktioniert, weil sie ein fein ausgelegtes Netz von Beziehungen pflegt, in dem Geben und Nehmen immer wieder ausgeglichen werden müssen. Es funktioniert, weil Ava sich chinesisches Denken wie einen Handschuh angezogen hat - obwohl sie in Kanada zur Schule gegangen ist - und absolut überzeugend auftritt.

In der Familie Lee gibt es eine chinesisch denkende und eine kanadisch sozialisierte Tochter. Ava spricht Kantonesisch, Mandarin und Englisch, beherrscht eine nicht ganz so bekannte asiatische Kampfkunst und hat ein Studium als Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin absolviert. Sie hält geduldig die Marotten ihrer Mutter aus, die samt den Töchtern und einer äußerst großzügigen finanziellen Grundlage von Vater Lee als Außenposten in Toronto in Position gebracht wurde. Die ältere Schwester Marian hat einen Kanadier geheiratet und 100% kanadische Kinder in die Welt gesetzt. Wie Marian zukünftig in Avas Mobile platziert wird, darauf bin ich wirklich neugierig.

Die Familienverhältnisse der Lees und Avas Beziehung zu „Onkel“, ihrem Geschäftspartner und Mentor in Hongkong, schildert Ian Hamilton sehr ausführlich. Wer vorhat, die Reihe zu lesen, sollte sich das Lee’sche Geschäftsnetz fotografisch genau merken. Hier kommt es darauf an, wer aus welcher Stadt stammt, wer mit wem gemeinsam zur Schule gegangen ist oder bei welchem Kampfkunstmeister ausgebildet wurde. Hamilton geht mit dieser Gewichtung klassisch chinesisch vor: er nähert sich seinem Thema vom Rand allmählich zur Mitte, bewegt sich vom vermeintlich Nebensächlichen zum Kern der Sache, den er als China-Kenner einem Asiaten gegenüber niemals so direkt ansprechen würde. Ganz anders dagegen die Verhältnisse in Guyana, wo Ava auf der Jagd nach den 5 Millionen Station macht, dort gibt es ein einfaches Nein. Nein, es gibt hier kein sauberes Trinkwasser und nein, die Straßen werden hier nicht repariert. Ava hätte das sicher diplomatischer ausgedrückt …

Ian Hamilton hat jahrelang Geschäfte in Asien gemacht und verarbeitet sein profundes Wissen über asiatische Denkweisen in der Krimi-Reihe um Ava Lee. Vielleicht überschätzt er seine europäischen Leser damit etwas; denn die Beziehung zwischen Ava und Onkel, auch sie typisch chinesisch, könnte eine interkulturelle Erläuterung gebrauchen, die in den folgenden Bänden evtl. noch folgt.

Die Reihe

1. Die Wasserratte von Wanchai. Ein Ava-Lee-Krimi. Kein & Aber, Zürich 2011
2. Der Jünger von Las Vegas. Ein Ava-Lee-Krimi. Kein & Aber, Zürich 2012
3. Die wilden Bestien von Wuhan. Ein Ava-Lee-Krimi. Kein & Aber, Zürich 2013
4. Der rote Stab von Macao. Kein & Aber, 2014

wird fortgesetzt bei Krug & Schadenberg:

5. Der schottische Bankier von Surabaya. Ein Ava-Lee-Roman. Verlag Krug & Schadenberg, Berlin 2018
6. Die zwei Schwestern von Borneo. Ein Ava-Lee-Roman. Verlag Krug & Schadenberg, Berlin 2019