Rezension

Kind oder Karriere?

Cherubino - Andrea Grill

Cherubino
von Andrea Grill

Iris Schiffer steht kurz vor dem Durchbruch als Mezzosopranistin. Einige Erfolge hat sie schon geschafft, und nun hat sie gleich zwei vielversprechende Engagements: In der New Yorker Met soll sie Mozarts Cherubino singen, wenige Monate später bei den Salzburger Festspielen die Sophie aus der modernen Oper von Nicholas Maw. Ausgerechnet jetzt wird die 39-jährige Frau schwanger. Wenn sie sich für das Kind entscheidet, setzt sie ihre Karriere aufs Spiel. Aber warum muss das so sein? Sie fühlt sich blendend, ihre Stimme ist gut wie nie, die Schwangerschaft bekommt ihr. Und so sagt Iris zunächst niemandem etwas. Zwei Männer kommen als Vater in Betracht; beiden sagt sie, sie seien es, verpflichtet sie aber zum Schweigen. Die Schwangerschaft schreitet fort, und irgendwann wird sie sich nicht mehr verheimlichen lassen...

Eine Schwangerschaft ist und bleibt hauptsächlich die Angelegenheit der Frau. Mutterschaft hat so manche Karriere verhindert, auch wenn das heute nicht mehr unbedingt sein müsste, da es Möglichkeiten gibt, ein Kind liebevoll und einfühlsam auch von anderen Menschen betreuen zu lassen, sei es nun der Vater, Verwandtschaft oder eine Kindergruppe. Trotz dieser Möglichkeiten wird gesellschaftlich immer noch erwartet, dass es in erster Linie die Frau ist, die sich um das Kind kümmert. Bei einer Schwangerschaft gibt es aber keine Alternative, und so ist Iris Dilemma realistisch. Ob es aber ihre Reaktion auch ist? Einfach den Kopf in den Sand zu stecken hat noch nie geholfen. Diese Zwickmühle löst sich nicht durch Aussitzen. In diesem Punkt hatte ich Schwierigkeiten, Iris Entscheidung nachzuvollziehen. Ist das noch glaubwürdig?

Interessant finde ich die Wahl der beiden Figuren, die Iris verkörpern soll. Cherubino ist ein Junge auf der Schwelle zum Mannwerden, der seine ersten Erfahrungen mit Liebe und Lust macht. Es ist eine "Hosenrolle" - sie wird von einer Frau gesungen, die sich als Mann verkleidet, der sich im Laufe des Stückes als Frau verkleidet. Verwirrung und Täuschung gehört dazu. Sophie ist eine polnische Frau, die mit ihren beiden Kindern nach Auschwitz deportiert wurde und dort vom Kommandanten vor die Wahl gestellt wird, welches ihrer beiden Kinder überleben darf - eine unmögliche Wahl. Diese Oper kenne ich nicht, und ich war bei der Lektüre fasziniert von der Geschichte, die anscheinend auch verfilmt wurde. Auch Iris steht vor einer Wahl, die sie nicht akzeptieren kann. Eine Weigerung hat allerdings nicht in jedem Fall solch drastische Auswirkungen wie bei Sophie, für die das der Tod beider Kinder bedeutet.

Ich habe dieses Buch mit viel Interesse gelesen; die Musikbranche und ihre Bedingungen sind mir durch Bekannte nicht ganz fremd. Es gibt auch andere Bereiche, in denen eine Schwangerschaft die Karriere gefährdet. So konnte ich vieles nachvollziehen, Iris Entscheidung konnte allerdings nicht - aber der Protagonist eines Buches muss sich ja nun nicht genauso verhalten wie es der Leser würde. So habe ich das Buch durchaus mit viel Vergnügen gelesen, mich dabei auch an meine eigenen Schwangerschaften erinnert und deren berufliche Folgen überdacht. Und ich nehme mir vor, Oper, Buch oder Film über Sophie auszuleihen.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2019. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. November 2019 um 19:08

Wie viel Punkte, Firi? / Von der Frage, Kind oder Karriere war in dem Buch doch kaum was zu finden, es ging immer nur um den Babybauch.