Rezension

Kinder und Arthritis

Schwimmen in der Nacht - Jessica Keener

Schwimmen in der Nacht
von Jessica Keener

Bewertet mit 4 Sternen

Es sind die Siebziger, ein gepflegter Vorort Bostons, eine wohlsituierte Familie. Nach außen hin sieht alles perfekt aus, aber wie so oft bröckelt es im Inneren. Vor allem die Mutter hadert mit ihrem Leben als Hausfrau und Mutter, leidet unter Schmerzen und trauert einer Karriere als Musikerin nach. Auf die Frage, warum sie ihr Violinspiel aufgegeben habe, antwortet sie "Kinder und Arthritis", ein Ausspruch, den sie unbedacht tut, der ihre Tochter Sarah doch zutiefst verletzt. Aber zu weit hat sich die Mutter innerlich schon von ihren Kindern entfernt, zu sehr zurückgezogen in ihre Depressionen und ihre Einsamkeit.
"Wir waren Wesen, deren Lebensfäden mit etwas Amorphem verbunden waren, zu dem wir Mutter sagten."

"Liebe war etwas, das sich in einen Raum im zweiten Stockwerk zurückzog".

Der Vater ist keine Hilfe. Er flüchtet sich in seine Arbeit als Literaturprofessor, in Strenge, Wutausbrüche und, genau wie die Mutter, in außerordentlichen Alkoholkonsum. Es wird eigentlich ständig, zu jeder Tageszeit, in jeder Lebenslage, getrunken.

Obwohl die Ehe nicht zerrüttet ist, die Eltern sowohl sich als auch den Kindern in Liebe zugetan sind, finden sie keine Möglichkeit der Annäherung, über Gefühle und Probleme wird zu keiner Zeit geredet, alles permanent unter den Teppich gekehrt. Dabei wird der Standesdünkel beim Umgang mit dem Personal, bei Dinnerpartys und im Countryclub fleißig gepflegt.

In dieser schwierigen Atmosphäre wachsen vier Kinder auf, die verzweifelt nach der Liebe ihrer Mutter suchen. Sie sind sich zwar gegenseitig ein Halt, aber den Umständen natürlich nur bedingt gewachsen. Besonders nach dem ungeklärten Unfalltod der Mutter scheint die Familie auseinanderzubrechen.

"Meine Tante versuchte uns aufzulesen wie auf dem Boden verstreute Äpfel. Aber das war unmöglich. die Bitterkeit des Lebens hatte alles zerstört, oder würde alles zerstören, wenn ich es zuließ."

Die so spricht, ist die Ich-Erzählerin Sarah. Aus ihrer Perspektive wird die Familie geschildert, ihr Vater, ihre drei Brüder. Und das gelingt der Autorin Jessica Keener ausnehmend gut. Besonders die drei Brüder entwickeln sich zu wunderbaren Charakterporträts. Auch die Stimmung in der Familie wird sehr schön deutlich. Keener verwendet dafür eine klare, schnörkellose Sprache, versetzt die melancholische, zuweilen düstere Stimmung mit hellen Lichtpunkten der Musik, die Sarah und ihrem älteren Bruder Peter immer wieder Trost und Momente des Glücks bringen. Und so endet das Buch auch äußerst hoffnungsvoll.

Trotz einiger Ungenauigkeiten, die, so vermute ich, der Übersetzung geschuldet sind, ein gut zu lesender, stimmungsvoller Entwicklungsroman.