Rezension

Kindheit in der Nachkriegszeit

Die hellen Tage - Zsuzsa Bánk

Die hellen Tage
von Zsuzsa Bánk

Bewertet mit 5 Sternen

Für die Freundinnen Seri und Aja gibt es zunächst nur die Welt des bescheidenen Häuschens, in dem Aja und ihre Mutter Evi leben und das noch nicht einmal eine Hausnummer hat. Seri, eigentlich Theresa, trägt diesen Kindernamen seit dem Jahr, als die Freundinnen ihre Namen rückwärts riefen. Als Leser und Zuhörer nimmt man zuerst wie aus einem dunklen Zuschauerraum heraus nur die beiden Mädchen wahr. Das weckt die Neugier auf Seris Eltern, wie auch auf die Vorgeschichte, die Mutter und Tochter in das fiktive Dorf Kirchblüt nach Süddeutschland brachte. Die Ich-Erzählerin entdeckt bald, warum sich die Welt ihrer kindlichen Abenteuer durch die besondere Lebenssituation Ajas und Evis von der anderer Kinder unterscheidet. Erzählt wird deutlich spürbar mit Einfühlungsvermögen in die Mütter. Die Sicherheit, mit der die Erzählerin die Abläufe analysiert, verblüfft. Väter sind im Leben der beiden Freundinnen zu Beginn der Geschichte noch abwesend. Zigi, Ajas Vater, arbeitet als Artist beim Zirkus. Er hat aufgrund seiner Wanderlust einen ganzen Ozean zwischen sich und seine Familie gelegt. Jedes Jahr wird Zigis Besuch sehnsüchtig erwartet, auch wenn Evi nie genau weiß, wann er ankommen wird.

Die ersten hellen Tage der Geschichte erleben die Mädchen, als Zigi überraschend mit einem Kinderfahrrad für seine Tochter auftaucht. Karl, der neu ins Dorf gekommen ist, wird von den Mädchen in ihre Freundschaft integriert, die Kinder nehmen ihre Beziehung nun als gleichschenkliges Dreieck wahr. Um die Kinderfreundschaft legen sich wie ein Wachstumsring die wachsende Freundschaft der Mütter und die Geschichte der abwesenden Personen: Zigi, Karls vermissten Bruder Ben, Seris früh verstorbener Vater. Die Leere, die ein Verstorbener, Vermisster oder Langersehnter in ihrem Leben hinterlässt, vereint die drei Frauen und Karls von der Mutter getrennt lebenden Vater. Wie sich die erwachsenen Figuren im Laufe der Geschichte um die drei Kinder neu gruppieren, erzählt Zsuzsa Bank wie ein Zirkusmärchen. Eltern und Kinder sind nicht nur durch Freundschaften miteinander verbunden, sondern durch helle Tage, die jeder von ihnen auf seine Art erlebt. Zigi kennt kaum dunkle Tage, selbst wenn es draußen bitterkalt und dunkel ist. Zigi und Evi erlebten ihre gemeinsamen hellen Tage als sie mit Baby Aja im Tuch den Zirkus verließen. Karls Mutter erlebte die hellen Tage als Karl Baby und sein Bruder noch nicht geboren war. Karl weist der Fotograf Jakob den Weg zu hellen Tagen in einem geliebten Beruf. Mit dem Erwachsenwerden lassen die Jugendfreunde die hellen Tage ihrer Kindheit hinter sich, um den Weg in eine noch ungewisse Zukunft zu beginnen. Nach einer Zeitspanne von fast 30 Jahren wird sich eine der Figuren für ihren Grabstein die Aufschrift wünschen: Die hellen Tage behalte ich, die dunklen gebe ich dem Leben zurück.

Zsuzsa Bank erzählt die Geschichte dreier Jugendfreunde wie ein Zirkusmärchen. Das gleichschenklige Dreieck der Beziehungen bleibt nicht stabil, es streckt sich mit dem Heranwachsen und wird wieder gestaucht. Wir tauchen in eine Kindheit endloser Tage in der Hängematte ein, die Kinder klettern in Bäume um dort oben den Tag zu verbringen, sie lauschen Zigis Geschichten, der beim Erzählen im Rahmen des Küchenfensters hockt. Manche Geschichte, die Zigi oder Evi erzählten, erweist sich im Rückblick aus der Erwachsenenperspektive als wenig märchenhaft und lässt sich erst aus der deutschen Nachkriegsgeschichte verstehen. Einsichten in die Vorgeschichte der drei Familien erreichen den Leser/Hörer wie ein Nachklang, mit zeitlicher Verzögerung begreift man die Zusammenhänge.

Da ich Kindheitserinnerungen und Entwicklungsromane mag, war es nicht schwer, mich mit Zsuzsa Banks drittem Buch zu fesseln. In dieser Geschichte kommt es auf feine Stimmungen und Details an, um das Mosaik der Erinnerungen vervollständigen zu können. Die Feinheiten werden dem Leser nicht aufgedrängt. Das Interesse für Märchen und Märchenelemente wird das Verständnis des Romans sicher erleichtern.