Rezension

Kindheit in Malawi

The Jive Talker - Samson Kambalu

The Jive Talker
von Samson Kambalu

Bewertet mit 4 Sternen

Wer wie Samson Kambalu in den 70ern in Malawi aufwächst, lebt gefährlich. Er und seine Geschwister werden nachts von Ratten angeknabbert, schwarze Mambas suchen im Haus der Familie ein trockenes Plätzchen und Malaria, Polio oder Tuberkulose werden als Schicksal hingenommen. Der Icherzähler zeigte sich bereits in früher Kindheit als schlaues Kerlchen; seine Familie erklärte seine Pfiffigkeit damit, dass Samson eben eine typische Frühgeburt sei. Ein Jivetalker ist jemand, der einen afroamerikanischen Dialekt spricht oder Unsinn erzählt. In Kambalus autobiografischem Roman übernimmt der Vater die Rolle des Jivetalkers. Der alte Aaron Kambalu zieht sich zum Lesen aufs Klo zurück und teilt seine frisch erworbenen Kenntnisse anschließend mit seiner ausgedehnten Kinderschar. Von Beruf ist Vater Kambalu Hilfsarzt im Staatsdienst, der häufig versetzt wird. Ohne die Dienstwohnungen, die der Staat seinen Angestellten zur Verfügung stellt, und ohne Schwarzmarktgeschäfte mit allem, was sich in einem Krankenhaus abzweigen lässt, wäre die große Familie kaum durchzubringen. Hinterlegt ist die Geschichte einer afrikanischen Kindheit mit ernsthaften Informationen über das politische Geschehen in Malawi während und nach der Amtszeit Präsident Bandas (1964 bis 1993). Samson erlebt den Regierungswechsel 1994 am Beispiel seiner Schule, die sich vom kostenlosen nationalen Vorzeigeprojekt unter der neuen Regierung zur kostspieligen Privatschule wandelt. Samson hatte als 13-Jähriger plötzlich seinen Ehrgeiz entdeckt, sich für die Aufnahmeprüfung an der einzigen Internatsschule Malawis zu bewerben. Britische Etikette und humanistische Bildung werden auf dieser bildungspolitischen Insel von einem rein weißen Lehrerkollegium britischer Herkunft hochgehalten, glatt vorbei an den Interessen der Schüler, die für Michael Jackson schwärmen. Während der harschen Initiationsriten an der Schule schlägt wieder voll das humanistische Ideal durch - die Streiche werden z. B. von Romulus oder Caligula gespielt. Malawi hat zu diesem Zeitpunkt noch keine Universität und Samson zeigt sich mit seiner androgynen Selbstinszenierung und seinen Plänen, später als Musiker oder bildender Künstler im Ausland zu studieren, als echter Visionär.

Warum in afrikanischen Staaten die Lebenserwartung bei unter 40 Jahren liegen kann, weiß inzwischen jeder. Samson berichtet nüchtern darüber, wie sein Vater in den 90ern plötzlich zu überraschendem Reichtum aus dem Schwarzmarkthandel mit Medikamenten kommt, weil immer mehr Kranke vor seinem Privathaus Schlange stehen. Als es ihm selbst immer schlechter geht, gibt der alte Aaron Kambalu vor, an Gicht erkrankt zu sein. Seine Kinder wissen über HIV Bescheid, sodass niemand ihm die Gicht-Geschichte abnimmt.

Samson Kambalu erweist sich in seinem autobiografischen Roman als gewitzter Beobachter seines Landes und als schlagfertiger Erzähler. Seine Analysen sind von herbem Charme, wenn er erzählt, wie das Christentum die gewohnte Rollenverteilung in Afrika umstürzte und wie fortan Männer gar nichts mehr taten, während ihre Frauen mit dem Baby auf dem Rücken allein die schwere Feldarbeit übernahmen. Auch Kambalus Erzählung bezaubert, wie in seiner Kindheit die Kinder stets die Schuhe auszogen, wenn ein Weißer fotografierte; denn jeder weiß doch, dass mit den Fotos Spendenkampagnen angeleiert werden. Für Kinder mit Schuhen würde kein wohlhabender Weißer spenden. Kambalus Brachialhumor im ersten Teil des Buches wirkt dagegen stark überzogen. Lieber würde ich die Beobachtungen des Mannes aus Malawi auf mich wirken lassen, ohne dass ich in jeder Szene penetrant daran erinnert werde, dass dies jetzt aber lustig zu sein hat. Kambalus Informationen zur jüngeren Geschichte Malawis und der autobiografische Hintergrund fügen sich im Jive Talker dann doch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen.