Rezension

King wird immer besser! - ★★★★★

Der Anschlag - Stephen King

Der Anschlag
von Stephen King

Bewertet mit 5 Sternen

Nicht, dass ich die Roland-Saga überhaupt nicht mochte, aber sie war einfach nicht das, was ich von King kenne, mag und erwarte. Nach dem letzten Turm-Buch ging es meiner Meinung nach wieder steil bergauf mit der Qualität der King-Romane. Sie zogen den Leser wieder extrem in ihren Bann, waren spannende und unterhaltsame Lektüre, wie man sie vom früheren King kannte.

"Der Anschlag" ist ein typischer King und doch völlig anders. Spannung und Horror sind vorhanden - doch auf einer völlig anderen Schiene als bisher. Fast ist die Zeitreise-Story ein Liebesroman. Klar, utopische Komponenten sind vorhanden, auch Dramatik und "alltäglicher Horror", aber keine Monster (die so viele bei King erwarten, obwohl King nur hin und wieder mit diesem Stilelement spielt). Gerade dieses Buch hat solche Elemente auch nicht nötig und fesselt trotzdem mehr, als man möchte.

King lässt seinen Protagonisten Jake Epping, seines Zeichens Englischlehrer (was auch anderes könnte er sein, ist Stephen King doch selbst Englischlehrer) völlig ohne ausreichende Vorbereitung durch den "Kaninchenbau" ins Jahr 1958 gelangen. Al, ein Imbissbudenbesitzer, nutzte dieses Portal jahrelang, ohne darüber zu reden. Jetzt ist er unheilbar krank und muss Jake bitten zu erledigen, was er selbst nicht mehr konnte: das Attentat auf JFK zu verhindern.

Der Horror dieses Buches liegt zwischen den Zeilen. Jake Epping will ein Unrecht ungeschehen machen, ohne zu wissen, welche Auswirkungen das auf die Gegenwart haben kann. Die Vergangenheit wird ihm zur Heimat - mehr als er je geahnt hätte. Die Vergangenheit ist unerbittlich, versucht aber immer wieder, zu harmonisieren. Immer wieder denkt Jake an den "Schmetterlingseffekt". Obwohl er nach seinem ersten Tripp in die Vergangenheit einen Einblick bekam, wie weitreichend ein Eingriff ist, will er wissen, ob Lee Harvey Oswald wirklich ein Einzeltäter oder doch ein Sündenbock war und Kennedy retten.

Mich hat die Story endlos berührt. King erzählt hier so vieles, das vor dem 22.11.1963 passierte (fünf Jahre in der Vergangenheit leben müssen, bis man zum "Ziel" kommt, das ist eben ein weiter Weg), dass man beim Lesen fast vergisst, dass man eigentlich einen King liest, keine Belletristik. King nimmt den Leser mit in die 50er Jahre und unterhält ihn sehr gut damit und dabei. So sehr, dass das Ende ein großer Verlust ist. Ich jedenfalls vermisse Sadie, Deke, Jake und all die anderen sehr. King hat all diese Romanfiguren für mich lebendig werden lassen. Sein "Kaninchenbau" ist auf meiner Seite der Story das Buch und ich möchte wieder zurück nach Jodie.

Ganz sicher polarisiert dieses Buch die Leser noch mehr, als alle anderen King-Bücher. Vielleicht muss man alle seine Bücher gelesen haben, um seinen "Weg" nachvollziehen zu können und zu sehen, wie wundervoll und wertvoll jedes einzelne King-Buch für den Leser ist, der sich fallenlassen kann. Ich persönlich mag seinen Stil unsagbar gern, liebe seinen Humor (der selbst in den schlimmsten Momenten nicht verlorengeht), bewundere seine Fähigkeit, eigene Erlebnisse in seinen Romanen zu verarbeiten. Einzigartig, wie er aus dem Plauderton direkt in dramatische Ereignisse übergehen kann. Mir kann deshalb kein Buch dick genug sein, das von Stephen King ist. Je mehr Seiten, desto länger der "Aufenthalt" in einer von King kreirten Welt. Ein Urlaub der besonderen Art!

Kommentare

Naibenak kommentierte am 04. Juli 2015 um 10:53

Hallo Leia, wahrscheinlich hast Du diese Rezi schon vor längerer Zeit geschrieben... ;-) Ich habe gerade heute dieses grandiose Buch beendet (erst mein 4.King) und muss sagen, Du sprichst mir genau aus dem Herzen. Ich habe noch kein ü1000-Seiten-Buch gelesen, dass mich komplett und ohne nennenswerte Durststrecke so sehr gefesselt hat. Eine wunderbare Geschichte, die sofort zu meinen Favoriten wandert :-) Sehr schöne Rezension!

Leia Walsh kommentierte am 04. Juli 2015 um 11:55

Dankeschön für das Lob!

Ja, es is schade, dass hier nie ein Datum steht.

Es ist einfach mein Lieblingsking, bis auf den Schluss, der zwar gut ist, aber nicht so genial, wie der Rest vom Buch.

Alle Bücher nach der Turm-Reihe sind deutlich besser geworden (und ich mochte King ja von Anfang an), aber dieses hat mein Herz echt gewonnen.