Rezension

Klaffende Krater

Das flüssige Land - Raphaela Edelbauer

Das flüssige Land
von Raphaela Edelbauer

Bewertet mit 4 Sternen

Der Klett Cotta Verlag ist mir schon seit meiner Kindheit vor allem für außergewöhnliche fantastische Literatur bekannt. Wenn man sich im Vorfeld nicht mit dem vorliegenden Buch befasst, könnte man daher annehmen, auf eine High Fantasy zu stoßen. Erfährt man aber, für welche Preise es nominiert ist und liest nur ein paar Sätze der Leseprobe wird zweifellos klar, dass es sich hier um Literatur mit hohem Anspruch handelt. Fantastische Momente werden hier lediglich parabelartig eingesetzt. Im Grunde ist das ganze Buch eine große Metapher.

Die theoretische Physikerin Ruth arbeitet an ihrer Habilitationsschrift, als ihre Eltern bei einem Unfalltod ums Leben kommen. Ausgerechnet in ihrem Heimatort, dem österreichischen Groß-Einland, wollten sie bestattet werden. Ruth kennt diesen Ort nur aus Erzählungen. Offizielle Stellen scheinen dagegen noch nie davon gehört zu haben. Dennoch findet die traumatisierte, unter Medikamenteneinfluss stehende Ruth unter Mühen ihren Weg dorthin.  Groß-Einland scheint nicht ganz von dieser Welt zu sein. Der Bürgermeister ist eher eine Strohpuppe. Alle Zügel fest in der Hand hält dagegen die Gräfin, der beinahe alles zu gehören scheint. Zeitebenen, eigentlich Ruths Forschungsgebiet, verschwimmen für Ruth immer mehr. Sie verliert ihr eigentliches Ziel komplett aus den Augen und nimmt die Arbeit, die die Gräfin ihr anbietet an. Denn groß-Einland hat ein ganz offensichtliches Problem: Ein riesiger Hohlraum Im Erdinnern bringt nach und nach die Stadt zum Einsturz….

Nicht nur das Land, auch die ganze Erzählstruktur ist hier flüssig. Monate mäandern zu Jahren, totgeglaubte Angehörige tauchen auf und gehen unvermutet wieder unter. Klaffende Krater mutieren verbal zu Aussparungen. Was verbirgt sich in der Tiefe? Zweifellos sind Verdrängungen eines dunklen Kapitels deutsch-österreichischer Geschichte das Leitmotiv des Romans. Atmosphärisch entwickelt sich eine traumartige Anmutung, die den Leser in die Geschichte förmlich hineinstrudelt. Das geschieht auf überwiegend sehr hohem sprachlichen Niveau. Gleichzeitig bleibt aber Ruth als Protagonistin vage, als würde sie auch für die Leser in einem Medikamentennebel verschwimmen. Das Ende versickert überraschend sang- und klanglos. Der aufgebaute Erzählstrang verlor für mich final leider an Spannung und ich bin nicht sicher, welche Intention die Autorin damit verfolgt hat.

Ein Roman, der Literaturkritiker begeistert und weiter begeistern wird. Lesende, die mit den richtigen Erwartungen herangehen, werden den Roman zwar schätzen, aber mit Leerstellen wie in Groß-Einland leben müssen.