Rezension

Klar, poetisch, berührend

Ein ganzes Leben - Robert Seethaler

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 5 Sternen

"Er war schon so lange auf der Welt, er hatte gesehen, wie sie sich veränderte und sich mit jedem Jahr schneller zu drehen schien, und es kam ihm vor, als wäre er ein Überbleibsel aus einer längst verschütteten Zeit, ein dorniges Kraut, das sich, solange es irgendwie ging, der Sonne entgegenstreckte." (S.70)

Andreas Egger schaut zurück: als ungefähr 4jähriger Junge kommt er zu Beginn des 20.Jahrhunderts ins Tal zu seinem Onkel, der ihn unter viel Prügel zu einem starken und tüchtigen Hilfsknecht heranzieht. Später schließt Egger sich den ersten Seilbahnbautrupps im Tal an, lernt seine große Liebe Marie kennen, zieht in den Krieg, macht sich selbständig und verbringt auf diese Weise ein langes, zurückhaltendes, aber genügsames Leben.

Die Lebensgeschichte wird in äußerst klarer und poetischer Sprache erzählt. Es werden alle Stationen des Lebens von Andreas Egger grob umrissen. Einige Ereignisse jedoch, die einen bleibenden und oftmals wegweisenden Eindruck für sein weiteres Leben hinterlassen haben, werden hervorgehoben und intensiver, ausführlicher beschrieben. Dabei macht Seethaler Gebrauch von wunderbaren und tiefsinnigen Bildern, die so aussagekräftig sind, dass dem nichts mehr hinzuzufügen ist. Der Autor zeichnet eine Figur, die, trotz vieler trauriger Einschnitte im Leben, dieses - sein - Leben immer "der Sonne entgegenstreckt(e)" und am Ende eine tiefe Zufriedenheit ausstrahlt. Die große Verbundenheit (und regelmäßige Rückkehr) Eggers zur Natur zieht sich durch diesen Roman bis zum Schluss. Die Einfachheit seines Lebensstils trotz des nicht aufzuhaltenden technischen Fortschritts beeindruckt und lässt mich innehalten. Bei diesem Roman bilden Sprache und Aussage eine wunderbare Einheit - toll!

Fazit: Weniger ist mehr. Die ganze Lebensgeschichte eines tüchtigen, naturverbundenen, einfachen Menschen in wenigen Worten zusammengefasst - geht das? Absolut. Seethaler wählt seine Worte derart treffend und bildhaft, dass sie eine kleine, feine Geschichte erzählen, die mich sehr berührt hat. Unbedingt empfehlenswert!

Kommentare

katzenminze kommentierte am 18. Mai 2017 um 17:30

Cool, ich bin neugierig.^.^ Die Sprache klingt wirklich schön! Und wie du so schön sagtest ist für so Hänflinge ja immer Platz... :D

LySch kommentierte am 18. Mai 2017 um 17:54

Ohhh, ihr schreibt beide immer so wunderschöne Rezis zu so tollen Büchern, die ich dann im Anschluss sofort haben will!♡ Ist auf jeden Fall aufgenommen in den Kreis der Will-ich-haben-Bücher ;)
Eine Freundin von mir meinte, dass "Der Trafikant" auch ganz wundervoll ist...

Steve Kaminski kommentierte am 25. Mai 2017 um 23:24

Der Trafikant ist toll - aber ganz anders geschrieben. 

parden kommentierte am 08. Juni 2017 um 10:44

Ich bin schon lange neugierig auf das Buch, das bislang noch ungelesen auf meinem SuB verharrt. Das wird sich hoffentlich bald ändern! Schöne Rezension mal wieder! ☺