Rezension

Klassiker aus ungewöhnlicher Perspektive erzählt

Meine Antonia - Willa Cather

Meine Antonia
von Willa Cather

Bewertet mit 5 Sternen

Willa Cathers Roman aus dem Jahr 1918, der mit der Knaus/btb-Ausgabe nun in der dritten Übersetzung ins Deutsche vorliegt, ist ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Buch. Der Ich-Erzähler Jim Burden wächst als Waise bei seinen Großeltern auf einer Farm in Nebraska auf. Die vier Jahre ältere Antonia, deren Familie gerade aus Böhmen eingewandert ist, bleibt für lange Jahre Jims wichtigste Vertraute in seiner Altersgruppe. Was Antonia in diesen ersten Jahren lernt, in denen ihre Eltern sich - fresh from the boat - mit der für sie ungewohnten Farmarbeit plagen, lernt sie von Jim. Abgesehen von der besonderen Beziehung zwischen Jim und Antonia bietet der Roman Einblick in das Leben der ersten Siedler, die auf ihrem Grund die Spuren im Gras finden, die die Ureinwohner noch vor kurzer Zeit dort hinterlassen haben.

Zunächst wirkt es erstaunlich, dass eine männliche Erzählstimme über eine ganze Clique von Mädchen berichtet und sich dabei mit Küche, Garten, dem Heranwachsen von Kindern und schließlich sogar dem Schneiderhandwerk befasst. Doch in diesem Buch ist nichts wie erwartet. - Antonia spielt im Roman eine Hosenrolle, stolz auf ihre Fähigkeiten, arbeitet sie auf der Farm ihrer Eltern wie ein Mann. Antonias kurzes Intermezzo als Köchin einer kinderreichen norwegischen Familie in der nächsten Kleinstadt bietet dem Erzähler Jim die Gelegenheit, das Schicksal einer ganzen Gruppe von Hausmädchen zu verfolgen. Alle stammen aus Familien böhmischer oder skandinavischer Herkunft und sprechen noch zu schlecht Englisch, um als Lehrerin arbeiten zu können. Mit dem Geld, das sie als Hausmädchen oder Schneiderin in der Stadt verdienen, können ihre Väter schneller ihre Schulden aus dem Landkauf zurückzahlen. Zwei dieser Mädchen strafen allen Klatsch über ihren lockeren Lebenswandel Lügen, indem sie nach einem ersten geschäftlichen Erfolg in der Kleinstadt im Westen der USA einen Neuanfang wagen - und wieder erfolgreich sind. Lena, die Schneiderin, bringt auf den Punkt, warum ihre berufliche Selbstständigkeit und die Ehelosigkeit für sie so wichtig sind. Sie hat als Kind keine Nacht allein in einem Bett geschlafen; kein Tag verging, an dem sie sich nicht um ihre jüngeren Geschwister gekümmert hat. Lena hatte bereits genug Familie für ihr gesamtes Leben, um keine feste Beziehung zu einem Mann mehr zu erträumen.

Für einen Roman, der Anfang des 20. Jahrhunderts erschien, eine ungewöhnliche Sichtweise, die hinter der Konsequenz jedoch zurückbleibt, mit der Willa Cather ihre eigene Rolle in Hosen und ihre Karriere als Journalistin und Autorin verfolgte. (siehe dazu auch das Nachwort)