Rezension

Klassische Räuberpistole

Jamaica Inn - Daphne du Maurier

Jamaica Inn
von Daphne Du Maurier

Bewertet mit 3 Sternen

Berühmt und berüchtigt ist das Jamaica Inn. Schauerliche Gerüchte werden hinter vorgehaltener Hand über das Gasthaus erzählt. Es ist wohl kaum ein geeigneter Ort für die junge Waise Mary, die bei den Wirtsleuten ein neues Zuhause findet.

„Jamaica Inn“ wurde 1936 erstveröffentlicht und kann daher als moderner Klassiker betrachtet werden.

Von der Autorin Daphne du Maurier habe ich bereits „Rebecca“ gelesen und mir mit „Jamaica Inn“ einen ähnlichen unheimlichen Thriller erhofft. Allein das Setting um das abgelegene Gasthaus im Moor von Cornwall hörte sich für mich vielversprechend an. 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Mary, die als junge Frau zur Waise wird. Sie verspricht ihrer Mutter am Sterbebett, dass sie zu ihrer Tante zieht, die mittlerweile zur Wirtin des berüchtigten Gasthauses Jamaica Inn geworden ist. 

Mary begibt sich dementsprechend auf den unheilvollen Weg, der sie in die Machenschaften ihres grobschlächtigen, arglistigen Onkels verstricken wird. 

Protagonistin Mary war mir insgesamt zu tough. Für eine junge Frau, die bisher nur das familiäre Ambiente kennt, hat sie bewundernswerte Sturheit, dramatischen Eigensinn und eine bedenkliche Erhabenheit mit ins Jamaica Inn gebracht. 

Die Motivation hinter Marys Entscheidungen war für mich nicht immer nachvollziehbar. Sie wirkt planlos und trotzdem entschlossen, kindlich naiv und dennoch erfahren, und ungestüm, obwohl sie durchaus mit Bedacht ihre Entscheidungen fällt. 

Das Jamaica Inn ist ein trostloser Ort, den kaum jemand freiwillig aufsucht. Die Gästezimmer sind verstaubt, der Schankraum ist meist verwaist, und falls sich doch mal Leben regt, ist es von verbrecherischer Absicht beseelt. 

Thematisch hat sich Daphne du Maurier an den Strandräubern des 19. Jahrhunderts orientiert. Diesen Einblick in Cornwalls Geschichte fand ich interessant, weil ich mich damit bisher nicht beschäftigt habe. 

Die Handlung war für mich von dem tristen Ambiente des Gasthauses, der brutalen Gewalt des Onkels und der aussichtslosen Situation von Mary geprägt. Gleichzeitig bietet die Autorin ein umschweifendes Bild der Moorlandschaft, das in seiner Tristesse dem gesamten Roman entspricht. Übrig bleibt eine abenteuerliche Geschichte, die unter der Last amouröser Begegnungen, kriminalistischer Verstrickungen und dem Schicksal der Protagonistin fast die Luft ausgeht. 

Außerdem spart du Maurier an spannenden Momenten und überraschenden Wendungen, und insgesamt ist das Geschehen arg vorhersehbar. Amouröse Einschübe treiben die hoffnungslose Mary an, und lassen bald ahnen, in welche Richtung die Handlung geht. 

Meinen Erwartungen hat „Jamaica Inn“ nicht entsprochen, wobei ich gedanklich den Vergleich mit „Rebecca“ ziehe. Es war mir zu abenteuerlich, ohne richtig vom Fleck zu kommen, zu trostlos um der aufkeimenden Liebe ein Strahlen zu verleihen und zu ungeschickt in den kriminalistischen Zügen, um rätselhafte Neugierde anzutreiben.

Schreib- und Erzählstil an sich sind im Gegensatz dazu exzellent. Schon allein, wie sich die düstere Atmosphäre des Romans auf den Leser überträgt, zeigt, dass es von einer Meisterin geschrieben ist.

Unterm Strich bleibt eine abenteuerliche Räuberpistole, die sich auf Basis historischer Begebenheiten über die triste Moorlandschaft zieht, und aufgrund der düsteren Atmosphäre auf’s Gemüt des Lesers drückt.