Rezension

Kleiner Henning-Großer Henning.

Neujahr - Juli Zeh

Neujahr
von Juli Zeh

Kleiner Henning-Großer Henning.

Henning ist ein Mann, der ein gutes Leben führt. Trotzdem plagt ihn seit Jahren ES! ES macht sich als Panikattacken bemerkbar. Schweißausbrüche und Herzstolpern rauben ihm den Schlaf. Henning arbeitet halbtags für einen Sachbuchverlag. Mit seiner Frau Theresa teilt er sich die Kindererziehung. Alles ist gut. Alles ist wunderbar. Doch ES ist immer dabei. Bei einem Urlaub in Lanzarote kommt Henning ES auf die Spur. Henning ist ein etwas unscheinbarer Charakter. Ich konnte lange nicht einschätzen, ob er sein Leben mag, wie es ist. Bei seiner anstrengenden Radeltour nach Femes kommt er seinem wahren Ich immer näher. Mit jedem Tropfen Schweiß findet er mehr zu sich. Mit der falschen Kleidung, einem geliehenen Rad, welches ungeeignet ist für den steilen Aufstieg ist und ohne Getränk, landet er bei einem Haus. Völlig dehydriert bekommt er einen Schwächeanfall. Die Besitzerin des Hauses lädt ihn ein zu Speis und Trank.
 

In dieser Geschichte macht Henning Bekanntschaft mit seinem inneren Kind.  Die Autorin beschreibt, mit ihrem unnachahmlichen Schreibstil, was Kindheitserlebnisse mit einem Menschen anstellen können. Die Idee mit der Radeltour finde ich total passend. Gerade körperliche Anstrengung hilft oftmals seelische Blockaden zu lösen. Seine Vergangenheit annehmen und im Jetzt leben funktioniert jedoch nur dann, wenn man die Wahrheit kennt. Dem Grund für seine Ängste bewusst begegnen kann. Es mutet oftmals unheimlich an, mit Henning diese Wahrheit zu ergründen. Die Geschichte spielt aus der Sicht von Henning. Mal in der Gegenwart-, mal in der Vergangenheit. Man fragt sich, wohin die Geschichte einen führen wird. Welches Drama sich dahinter verbirgt.  

Mit knapp 200 Seiten hat die Autorin eine Geschichte erzählt, die nichts vermissen lässt. Spannung ist hier mehr gegeben, als bei manchem Thriller. Wir lernen einen Mann kennen. Henning! Das besondere an dieser Story: Henning lernt sich selber kennen. Er lernt den kleinen Henning kennen und verstehen. Es handelt sich hier um ein Familiendrama. Es hätte keins sein müssen. Eigentlich hätte man die Dinge nur beim Namen nennen brauchen! Der Vergangenheit ein Gesicht geben. 

Das ist der dritte Roman, den ich von Juli Zeh gelesen habe. Neujahr ist wieder eine Glanzleistung. Auch der Humor findet wieder seinen Platz. Zeh-Humor! Ich liebe die direkte Art.

Danke Juli Zeh. Ich habe jedes einzelne Wort genossen.

 

Silvester. Henning telefoniert mit seiner flippigen Schwester Luna:

Natürlich war Luna auf einer Party. Laute Musik im Hintergrund, Stimmengewirr. Gelegentlich wehrte sie sich kichernd gegen jemanden, der etwas von ihr wollte, vielleicht tanzen oder Raketen abschießen oder vögeln.