Rezension

Kleiner Mann ganz groß!

Owen Meany - John Irving

Owen Meany
von John Irving

Bewertet mit 4.5 Sternen

Owen Meany ist ein ganz besonderer Mensch. Das fängt beim rein Äußerlichen an – er misst gerade einmal 1,50 m in ausgewachsener Form. Es betrifft seine Stimme, die nie einen Stimmbruch erfahren hat und ganz besonders betrifft es seinen Glauben und seine Einstellung zum Leben. Er hat eine Vision, die ihn ungewöhnlich stark mit Gott verbindet und ihn sein Leben nach genau dieser Vision ausrichten lässt. Er träumt seinen eigenen Tod und glaubt, das genaue Datum ebenfalls zu wissen. Owen ist fest davon überzeugt, ein Instrument Gottes zu sein.  Er hat weiterhin ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, ist feinfühlig und überaus intelligent. So ist es nicht verwunderlich, dass er bereits als Schüler durch kritische Beiträge in der Schülerzeitung wiederholt Aufmerksamkeit erregt und sich dadurch großen Respekt verschafft. Seine starke Persönlichkeit hat ihn von seinem Kurs niemals abbringen können. Aber auch seine Freunde tragen einen großen Anteil daran – insbesondere sein bester Freund John Wheelwright und dessen Familie.

John erzählt diese Geschichte rückblickend. Sie ereignet sich in den 1950er und 1960er Jahren in New Hampshire. John wächst bei seiner Mutter und Großmutter auf, seinen Vater kennt er nicht. Die Familie ist recht wohlhabend, wohingegen Owens Vater im Granitgeschäft tätig ist. Dort muss auch Owen viel arbeiten. John hat (vorerst) kaum eine Beziehung zu Gott, was ihn ebenfalls stark von Owen unterscheidet. Sie verbringen beide viel Zeit miteinander, gehen durch Höhen und Tiefen, haben erste Liebeserlebnisse und erleben den Vietnamkrieg. Als Owen beginnt, seiner Einberufung  in den Vietnamkrieg entgegen zu fiebern und penibel zu planen, wird John immer unruhiger. Er selbst will auf keinen Fall in diesen Krieg ziehen und hat Angst um seinen geliebten Freund…

Nach gut 850 intensiven Seiten habe ich dieses Buch mit einem Seufzer zugeklappt. Wow. Die Erzählkunst von John Irving leuchtet in jeder Zeile. Die Liebe, mit der er erzählt, wärmt einem das Herz, besonders auch während der tragischen Passagen. Bildhaft, gefühlvoll, ausdrucksstark beleuchtet  er in diesem Buch Fragen nach Religiosität, Humanität, Moral und Politik, Fragen nach dem Leben:

„„WENN DIR ETWAS AM HERZEN LIEGT, DANN MUSST DU ES BESCHÜTZEN – UND WENN DU SOVIEL GLÜCK HAST, EINE ART ZU LEBEN ZU FINDEN, DIE DIR GEFÄLLT, DANN MUSST DU DEN MUT HABEN, SIE AUCH ZU LEBEN.““( Zitat S. 694)

Dass Irving auch mit der US-Politik hadert, drückt er ebenfalls oft aus (hier in Bezug auf die Reagan-Periode/ Contra-Krieg in Nicaragua ab 1981):

„…ist es nicht genau das, was die Welt braucht? Unklare Entschlossenheit! Das ist typisch amerikanische Politik: unklar sein, aber auf jeden Fall entschlossen vorgehen!“ (Zitat S.499)

Und nicht zuletzt interessante Gedanken rund um das Thema Krieg und Wehrpflicht:

„…, was ihn an der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg am meisten störe, sei die Tatsache, dass seiner Meinung nach bei vielen Kriegsgegnern Eigennutz der Hauptgrund für ihre Einstellung war; wenn nicht vielen von ihnen die Einberufung nach Vietnam drohen würde, gäbe es so gut wie keinen Protest gegen diesen Krieg, vermutete er.“  (Zitat S.597)

““ES GIBT NUR EINE MÖGLICHKEIT, DIE AMERIKANER DAZU ZU BRINGEN, ETWAS ZUR KENNTNIS ZU NEHMEN: MAN MUSS STEUERN VON IHNEN VERLANGEN, SIE ZUM MILITÄRDIENST EINBERUFEN ODER SIE UMBRINGEN“ meine Owen.“      (Zitat S. 598)

Dies sind längst nicht alle Gedanken, die mich innehalten lassen und zum Nachdenken anregen. Schon deshalb ist „Owen Meany“ ein Roman, der sich nicht einfach „weg lesen“ lässt. Auch ist er nicht immer wirklich fesselnd, sondern plätschert mal eben seitenweise vor sich hin. Nun.. das Leben ist auch oft total „normal“ ;-) Und so ist dieser Roman eine Geschichte über die Freundschaft zweier Jungen und ihr Heranwachsen – mit allem Drum und Dran. Am Ende werden alle gesponnenen Fäden zu einem runden, großen Ganzen zusammengefügt. Das ist einfach großartig!

Fazit: Wunderbar. Berührend. Liebevoll. Kurios. Verstörend. Typisch Irving. Hier in ganz großer Hochform. Lesen!

Kommentare

Sibylle P. kommentierte am 03. März 2016 um 23:32

Super Rezi, besser kann man das Buch nicht beschreiben :)

Naibenak kommentierte am 04. März 2016 um 15:40

Oh ganz lieben Dank! :-) <3

kommentierte am 08. März 2016 um 09:55

Kann mich Sibylle nur anschließen, liebe Bianca!

Die Rezi ist wirklich großartig und das Buch landet umgehend auf meiner WuLi!!!

Edit: ich seh grad, dass das Buch schon längst in meinem Wunschregal steht ha ha ha.

Naibenak kommentierte am 08. März 2016 um 10:02

Oho...liebsten Dank! :-) Und guck... 2x WuLi bedeutet vielleicht so langsam: KAUFEN!!! ;)))

kommentierte am 08. März 2016 um 10:28

Ja, könnte ich mir gut vorstellen als eines meiner nächsten Bücher für "Das Jahr des Taschenbuchs"...Hab mir da vor ein paar Tagen "Zerrissen" von ´nem spanischen Autoren geholt - schaun ma mal. Bin ja sonst nicht so der Thriller-Leser, aber das Buch wollte ich unbedingt haben!!!

Federfee kommentierte am 02. August 2016 um 11:39

Ich habe noch nie etwas von ihm gelesen, obwohl er ja ein Klassiker zu sein scheint. Nach deiner tollen Rezension ist klar: muss ich lesen ... ab auf die Liste ;-)

Naibenak kommentierte am 02. August 2016 um 14:41

Oh vielen Dank!!! :-) Viel Spaß und Freude dann mit diesem tollen Buch!!! ;-) John Irving sollte man mal probiert haben, finde ich. Manche mögen ihn nicht, aber ganz viele lieben ihn <3