Rezension

Kleinstadtmelancholie

Plainsong - Kent Haruf

Plainsong
von Kent Haruf

In dem Roman „Lied der Weite“ widmet sich Kent Haruf sieben Menschen aus der fiktiven Kleinstadt Holt nahe Colorado und verwebt deren Schicksale zu einer anrührenden Erzählung, die tief bewegt. Mit einer ausgesprochenen Ruhe und einer beeindruckenden Beobachtungsgabe erzählt der mittlerweile verstorbene Autor von den Sorgen und Wünschen ganz normaler Menschen. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, seine eigenen schmerzhaften Erlebnisse, nichts davon ist wirklich neu und doch treffen sie den Leser mitten ins Herz.

Da wäre Guthrie, Lehrer und Vater, der sich von seiner apathischen Frau emotional entfremdet hat und nun Job und Erziehung allein bewältigen muss. Da wären seine beiden kleinen Jungen, die darunter leiden, dass ihre geliebte Mutter ihnen immer mehr entgleitet, wogegen sie verzweifelt versuchen anzukämpfen. Da wäre Victoria, die mit 17 ungewollt schwanger und von ihrer Mutter deshalb vor die Tür gesetzt wird. Da wäre die engagierte Lehrerin Maggie, die sich ihrer vorübergehend annimmt, jedoch mit ihrem dementen Vater genug zu tun hat. Da wären die beiden Brüder McPheron, zwei liebenswürdige, gealterte Junggesellen, die nicht viel vom Leben gesehen und kennengelernt haben außer ihren Hof, auf dem sie abseits der Stadt leben. Als sie Victoria auf Drängen der Lehrerin bei sich aufnehmen verändert sich das Leben aller Beteiligten. Gemeinsam bauen sich die drei, die allmählich mit einander zusammenwachsen, eine Art Wahlfamilie auf und zeigen damit den Bewohnern der Stadt, dass es möglich ist aus der wie auch immer entstandenen Einsamkeit wieder herauszufinden, wenn die Menschen zusammenhalten und für einander einstehen.

Was mir bei all dem gefehlt hat, war ein stärkerer Blick in das Innere der Handelnden, der Roman bietet keine Introspektion in ihre Gedanken, es gibt keine inneren Monologe, die die Figuren noch nahbarer und fassbarer machen würden. Haruf lässt sie vielmehr über ihre Taten sprechen, jedoch fiel mir zumindest bei Victoria, die ja nun die Hauptperson ist auf, dass sie zuweilen unbeteiligt wirkte. Es wurde viel über ihren Kopf gesprochen und entschieden. Auch hat mich das Ende nicht ganz zufriedengestellt, irgendwie wurden die Fäden etwas vorschnell zusammengezogen, was mich irgendetwas vermissen ließ.

Diese Punkte tun dem positiven Gesamteindruck jedoch keinen Abbruch, denn Roman überzeugt auf anderer Seite durch seinen ruhigen, eindringlichen Schreibstil, der ganz ohne Hektik oder Dramatisierung zu fesseln weiß.  Das ist sehr angenehm für den Leser und bewirkt, dass man ganz aufmerksam auch den leisen Zwischentönen, dem Nicht-Gesagten lauscht, in denen, wie so oft das ganz Wesentliche ausgedrückt wird.