Rezension

Klischeehafte Darstellung von Depressionen und Burnout

Das Haus der Frauen - Laetitia Colombani

Das Haus der Frauen
von Laetitia Colombani

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Pariser Anwältin Solène erleidet eine dramatische berufliche Schlappe mit anschließendem Burnout, als sich nach einem verlorenen Prozess ihr Mandant das Leben nimmt. Sensibel und pflichtbewusst, kann sich Solène eine Rückkehr in die Kanzlei nicht vorstellen. Zusätzlich zu einer Therapie beim behandelnden Psychiater bekommt sie Antidepressiva verordnet. Ihr Therapeut empfiehlt ihr, sich eine ehrenamtliche Aufgabe zu suchen, was die zuverlässige Solène umgehend tut. Sie wird im „Palast der Frau“, einem riesigen Apartment-Komplex mit Sozialwohnungen für Frauen, als „öffentliche Schreiberin“ den Bewohnerinnen im Umgang mit Behörden helfen. Solène konnte sich schon als Kind gut ausdrücken und scheint die ideale Person für diese Aufgabe zu sein. Noch ahnt Solène nicht, dass sie im „Palast“ weit schwierigere Probleme erwarten als ein paar Behördenbriefe zu verfassen. Ohne das (reale) Haus, das 1926 von Blanche Peyron für Frauen in Not gegründet würde, wären viele der über 300 Bewohnerinnen vom Rand der Gesellschaft mitsamt ihren Kindern obdachlos. Die Teetrinkerin, die Strickerin, die Serbin, es sind starke Charaktere, die Solènes ganze Zuwendung fordern. Während Solène in kleinen Schritten das Vertrauen der Bewohnerinnen gewinnt, wird ihr bewusst, dass sie bisher stets die Erwartungen anderer Menschen erfüllt hat. Sie wurde Anwältin, um die Träume ihrer Eltern zu verwirklichen, und die Beziehung zu ihrer großen Liebe könnte ebenfalls an ihrer zu großen Anpassungsbereitschaft zerbrochen sein. …

Wie schon in „Der Zopf“ verknüpft Laetitia Colombani auch in ihrem zweiten Roman mehrere Lebenswege miteinander, Solènes Schicksal, das ihrer Klientinnen, die Geschichte des „Palasts“ und die Biografie der (realen) Blanche Peyron (1867-1933), die ihr Leben der Heilsarmee und dem Apartmenthaus für obdachlose Frauen widmete. Nachdem ich aufgrund des Covers in Rot-Gold zunächst mindestens eine Romanfigur asiatischer Herkunft erwartet hatte, fesselte mich der Handlungsstrang um den „Palast“ und seine Gründerin mit Abstand am stärksten. Blanche Peyron war ihrer Zeit vermutlich ein Stück voraus, als sie erkannte, dass obdachlose Frauen oft psychisch krank, Gewaltopfer oder Mütter mit Kindern waren. Colombani hat mir Blanches Persönlichkeit nahe gebracht, ohne sie dabei auf ein Podest zu stellen. Einem Mann mit vergleichbarem Erfolg wäre vermutlich ein Denkmal gesetzt worden.

Das Konzept der Autorin, eine schwer an Depressionen erkrankte Patientin der akademischen Oberschicht durch ein Ehrenamt die Welt aus anderer Perspektive sehen zu lassen, finde ich dagegen fragwürdig. Als überaus pflichtbewusste Juristin hätte Solène durch die Fülle der Probleme gleich den nächsten Zusammenbruch erleiden können. Die Chance mit der Reichweite einer populären Autorin in leicht lesbarer Weise Verständnis für Depressionen als schwere andauernde Erkrankung zu vermitteln, hat die Autorin mit ihrer Verkürzung und Verharmlosung der Krankheit meiner Ansicht nach vertan.