Rezension

Kochtop Großstadt

Wir holen alles nach - Martina Borger

Wir holen alles nach
von Martina Borger

Bewertet mit 3 Sternen

In einer Großstadt wie München kommt einiges an sozialen Problemen manchmal konzentriert zusammen: die alleinerziehende Mutter Sina steht unter ständiger hoher Belastung im Fulltime-Job, ihr neuer Lebenspartner Torsten ist trockener Alkoholiker auf Jobsuche, ihr schüchterner Sohn Elvis hat in der Schule kaum Kontakte und schlechte Noten, die neue Nachhilfelehrerin Ellen kommt mit ihrer kläglichen Rente nicht ohne Zusatzjobs über die Runden. Als sie bei Elvis Veränderungen bemerkt, soll der Leser mitraten, was wohl geschehen ist. 

Die Handlung ist vernachlässigbar. Viele Leser fallen nicht auf die offensichtlichen Verdächtigungen, die die Autorin streut herein und lesen stattdessen aufmerksam. Die ständige falsche Fährte, die Martina Borger legt, ärgert zunehmend, weil sie von Anfang an zweifelhaft ist. Das ist einfach zu plump gemacht. 

Was hingegen gar nicht plump ist, sind die Charakterisierungen der Mitglieder der im Mittelpunkt stehenden Patchwork-Familie. Hier werden Sorgen, Nöte, Überlegungen und Beweggründe insbesondere von Ellen und Sina detailliert und vielseitig untersucht. Auch wenn der Leser nicht immer einer Meinung ist mit den Akteurinnen, so sind die Frauen realistische Abbilder unserer heutigen Zeit und ihrer Probleme und bieten viele Anhaltspunkte zur (ungeschönten) Identifikation. Wie sie sich beide um Elvis sorgen und zu seinem Wohl auch manchmal falsche Entscheidungen treffen ist, wie es eben ist. So ist das bei (Groß)Eltern und Bezugspersonen: man macht nicht immer alles richtig, vor allem nicht mit den eigenen Problemen und der eigenen Vergangenheit im Hinterkopf. Erziehung ist immer etwas subjektives und perfekt gibt es da nicht. Das gilt auch für Beziehungen, nicht nur romantische, sondern auch freundschaftliche. 

Das fängt der Roman wunderbar, teilweise schmerzhaft gut, ein und vielleicht hätte er mich mehr überzeugt, wenn er sich, diese scharfe Beobachtungsgabe beibehaltend, auf das Geflecht Familie konzentriert und nicht von etwas pseudo-kriminalistischem, das noch dazu nicht überzeugen konnte, abgelenkt worden wäre. 

Kommentare

MrsFraser kommentierte am 16. April 2020 um 08:15

Es sollte im Titel natürlich KochtopF heißen. :/