Rezension

Komplex, fantastisch und fesselnd

Die Knochenuhren - David Mitchell

Die Knochenuhren
von David Mitchell

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt aus dem Klappentext:

An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für "Asyl" einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, welche Bedeutung die alte Frau dadurch für ihre Existenz bekommen hat.

Die Knochenuhren folgt den Wendungen von Holly Sykes' Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts materialisieren, Zeitlöcher und andere kurze Aussetzer der Gesetze der Wirklichkeit. Denn Holly – Tochter, Schwester, Mutter, Hüterin – ist zugleich die unwissende Protagonistin einer mörderischen Fehde, die sich in den Schatten und dunklen Winkeln unserer Welt abspielt – ja, sie wird sich vielleicht sogar als deren entscheidende Waffe erweisen.

 

Meinung:

Die Knochenuhren gehört auf jeden Fall zu einem der Bücher auf die ich dieses Jahr schon ganz besonders gespannt war und auf das ich sehnsüchtig gewartet habe. Nachdem ich den Wolkenatlas und zuletzt Die tausend Herbste des Jacob de Zoet gelesen habe, wollte ich unbedingt wissen, wohin der Autor mich diesmal führen wird.

Im Buch begleiten wir Holly Sykes auf ihrem Lebensweg, quer durch die Welt und durch die Zeiten. Mit knapp 16 Jahren reißt die junge Holly nach einem Streit mit ihrer Mutter von daheim aus. Aus dem Plan bei ihrem Freund unterzukommen, wird leider nichts, denn dieser betrügt sie gerade mit Hollys bester Freundin. Erschüttert verlässt Holly die Stadt. Auf ihrer Flucht trifft sie auf eine alte Frau, die sie im Gegenzug zu einem Gefallen für Holly um Asyl bittet, wenn sie diesen benötigt. Holly willigt ein und setzt damit Ereignisse in Gange, die ihr Vorstellungsvermögen übertreffen werden. Denn rund um Holly entspinnt sich ein Krieg, der Holly nicht zur zu einer wichtigen Figur in diesem macht, sondern auch zu einer wichtigen Waffe werden lässt.

Holly ist zeitgleich Hauptfigur und Nebenfigur in diesem Roman. Zwar greift die Geschichte immer wieder auf sie zurück, trotzdem sind die Ereignisse und Personen rund um Holly ebenso Mittelpunkt und Holly setzt zwischenzeitlich nur den Rahmen für das jeweilige Geschehen. Klingt merkwürdig, ist aber so und lässt sich auch nicht besser beschreiben. Aber gerade das macht die Besonderheit dieses Romans aus. Trotzdem ist Holly keine einfach mal so eingesetzte Protagonistin, sondern eine sehr plastisch ausgearbeitete Figur. Sie hat Fehler und Launen, ist nicht immer sympathisch in ihrem Verhalten, aber trotzdem mochte ich sie unheimlich gerne und habe ihren Lebensweg mit viel Spannung verfolgt. Auch die vielen Nebenfiguren, die Hollys Leben begleiten, sind sehr gut ausgearbeitet. Ich will gar nicht zu viel von ihnen erzählen, um den Zauber der Geschichte nicht vorwegzunehmen.

Die Knochenuhren ist ein Roman, der sich schwer in eine Richtung setzen lässt. Das Buch ist paranormal und normal, es hat fantastische Elemente und beinhaltet ernste, aktuelle Themen. Es beschäftigt den Leser über die Lektüre hinaus, ganz so, wie ich es von David Mitchell gewohnt bin. Dabei muss man aber ein wenig Geduld mitbringen, denn die Geschichte braucht ein wenig, bis sie seinen Sog entfaltet. Anfangs ertappte ich mich viel zu oft dabei, dass ich das Buch bereitwillig zur Seite legen konnte, doch nach und nach nahm mich der Roman immer mehr gefangen, bis ich ihn dann nicht mehr aus der Hand legen wollte. Wie schon im Wolkenatlas hat der Autor auch hier wieder einen besonderen Stil gewählt. So wird der erste Teil des Buchs noch aus Hollys Sicht in der Ich-Perspektive erzählt, im zweiten Teil aber kommt ein anderer Protagonist zu Wort, ebenso wie in den darauffolgenden Teilen, die alle in der Ich-Perspektive bleiben. Dabei verliert man Holly nie ganz aus den Augen, denn sie ist der rote Faden in diesem Werk.
David Mitchells Erzählweise ist dabei jedem Buchteil entsprechend angepasst, er erzählt plastisch und ausschmückend, aber nicht ausufernd. Der Plot des Romans ist sehr gut ausgearbeitet und schlüssig schließen sich die offenen Fragen zum Ende hin, lassen aber noch genügend Spielraum für eigene Gedanken und Schlüsse. Und wer z. B. Die tausend Herbste des Jacob de Zoet gelesen hat, wird in diesem Buch sogar Anspielungen dazu finden ;) Man muss aber nicht die anderen Bücher des Autors gelesen haben, um die Handlung verfolgen zu können.

Vielen Dank an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar.

 

Fazit:

Es braucht ein wenig Geduld, um in Die Knochenuhren rein zu finden, dann aber entfaltet sich die Geschichte mit einer so enormen Sogkraft, dass man nicht mehr mit dem Lesen aufhören möchte. Mit seinem ungewöhnlichen Erzählstil hat David Mitchell es wieder einmal geschafft, aktuelle Themen und fantastische Elemente eindrucksvoll zu einem sehr komplexen und dichten, aber spannenden Roman umzusetzen. Das Buch beschäftigt einen auch über die Lektüre hinaus und bleibt lange in Erinnerung.

Von mir gibt es 4,5 von 5 Punkten