Rezension

Komplex, morbide und am Ende glaubwürdig aufgelöst

Die vierte Schwester -

Die vierte Schwester
von Kate Atkinson

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im drückend heißen Sommer 1970 ist Rosemary Land  schwanger und erschöpft von ihren vier wilden Töchtern. Nur ein einziges Mal gibt sie das Ruder aus der Hand und erlaubt Tochter Amelia mit der erst 3 Jahre alten Olivia im Garten im Zelt zu übernachten. Am nächsten Morgen ist Olivia verschwunden, das Gartentor steht offen - und das Kind wird nie wieder gesehen.  25 Jahre später ist sich der Rechtsanwalt Theo Wyre völlig bewusst, dass Laura seine Lieblingstochter und er deshalb besorgter um sie ist als um ihre ältere Schwester. Als Laura in seiner Kanzlei von einem Unbekannten erstochen wird, suchen die Ermittler das Motiv in einem beruflichen   Konflikt Wyres – vergeblich.  1979  hat sich die erst 18-jährige Michelle in einem Farmarbeiter verliebt und ein Kind mit ihm bekommen. Das fordernde Kind und Michelles geplatzte Illusionen vom gesunden Landleben machen sie besonders reizbar. Offenbar hat sie im Streit ihren Mann getötet und ist seitdem verschwunden; mehr erfährt man zunächst nicht.

Als die Schwestern Land  fast 35 Jahre später nach dem Tod ihres Vaters das Kuscheltier ihrer verschwundenen Schwester finden, beauftragen sie den Privatermittler Jackson Brodie mit Ermittlungen. Olivias Verschwinden hat das Leben aller drei überschattet. Dass sie noch immer hoffen,  Olivia hätte eine Entführung überlebt und könnte gefunden werden, ist leicht nachvollziehbar. Brodie ist Ex-Polizist, selbst Vater einer kleinen Tochter – und auch er hatte eine Schwester. Dennoch könnte man sich fragen, warum Brodies Klienten gerade auf ihn so große Hoffnungen setzen. Während Brodie unmotiviert  und  bisher erfolglos  die Ehefrau des Apothekers beschattet,  fordert ihn  der Cold Case stärker als erwartet. Brodie erkennt, dass die Polizei Vermisstenfälle heute ganz anders untersuchen würde und deshalb neue Erkenntnisse wahrscheinlich sind. Als auch Theo Wyre sich an Brodie wendet, fragt man sich als Leser, ob  alle  Fälle miteinander verbunden sein könnten. Ein Netz aus ungelebten Leben, ungelösten Kriminalfällen, Schuldgefühlen -  und mittendrin ein desillusionierter Ermittler. Doch wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel tauchen jeweils neue Figuren und neue Fakten auf, wenn man glaubt die Zusammenhänge zu durchschauen. Auffallend im Mittelpunkt steht das Thema Schwestern und Eifersucht unter Geschwistern, so dass  Atkinsons Thema hier durchaus  die Familienaufstellung sein könnte.

Erzählt wird Atkinsons Kombination aus Krimi und Famillien-Roman in boshaft-ironischem Ton; und auch ihre Figuren sind mit einer gehörigen Portion Zynismus ausgestattet. Den Umgang mit dem Tod und dem Verschwinden eines Kleinkinds könnten zartbesaitete Leser als morbide empfinden. Obwohl Brodie erst zum Ende des Auftaktbandes Form annimmt, finde ich den Ermittler interessant genug, um neugierig auf seine weitere Entwicklung zu sein.

Komplex, morbide und am Ende glaubwürdig aufgelöst.

 

Die Serie

  1. Die vierte Schwester (2005, 2021)
  2. Liebesdienste (2007)
  3. Lebenslügen.(2008)
  4. Das vergessene Kind (2011)
  5. Weiter Himmel (2021)