Komplexität führt zu Faszination
Bewertet mit 4 Sternen
Veronica Roth und ihre „Die Bestimmung“-Trilogie war eine dystopische Reihe, die in Deutschland insgesamt sehr divers diskutiert wurde. Dennoch war ich abseits von fragwürdigen Charakterentwicklungen und falschen Handlungsentscheidungen sehr fasziniert von Roths Begabung komplexe Welten glaubwürdig, schlüssig und vor allem detailreich in den Köpfen der Leser zu installieren. Daher bin ich sehr froh, dass mit „Rat der Neun – Gezeichnet“ nun ihr neustes Werk den Buchmarkt stürmt.
Diese große Stärke von Roth komplexe Welten zu erschaffen, spiegelt sich auch gleich in ihrem neusten Werk wieder, was zur Folge hatte, dass es mir unglaubliche schwer fiel mich auf den ersten Seiten in das Geschehen, in die Welt und die Figuren hineinzufinden. Zu viele Informationen, zu viele Details und dann eben so komplex gestaltet, dass man vieles doppelt und dreifach lesen muss. Das Glossar am Ende des Buches ist wirklich nicht als unnütz zu bezeichnen! Hinzu kommt, dass die Namen der Figuren sehr ungewöhnlich ist, so dass man beim Lesen recht lange darüber stolpert.
Aber wie das mit dem Geist nun mal so ist: er gewöhnt sich an alles. Mit voranschreitendem Geschehen löst sich die Komplexität mehr und mehr. Die vielen Informationen setzen sich zu einer faszinierenden Welt zusammen, die man sich auf Grund der Detailverliebtheit der Autorin wahnsinnig gut vorstellen kann und die man gerne entdeckt. Und auch über die Namen gleitet man bald hinweg, als ob sie schon ewig zum Wortschatz gehören würden.
Neben der entworfenen Welt, die durch unheimlich viele spannende Randaspekte, die viel Handlungspotenzial enthalten, besticht, wurden mir auch zwei sehr faszinierende Protagonisten geboten. Beide sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht und dadurch ist es interessant zu begleiten, wie sie sich in ihren Eigenschaften immer mehr einander annähern und ein Vertrauensverhältnis entsteht, das die Handlung entscheidend antreibt. Die damit verbundene Liebesgeschichte ist langsam, zart und ungeheur einfühlsam erzählt. Wirklich sehr authentisch!
Im Zusammenhang mit den Protagonisten gibt es aber meinerseits an der Erzähltechnik Kritik. Der erste Teil ist ausschließlich aus Akos‘ Sicht (wobei hier ja auch nur Akos vorkommt) erzählt, der zweite Teil wiederum nur Cyras (obwohl auch Akos eine große Rolle spielt) Sicht. Erst in den letzten beiden Teilen werden die Kapitel abwechselnd aus ihren Perspektiven erzählt. Vor allem dem zweiten Teil hätte es sehr gut getan, wenn mit uns Lesern auch Akos‘ Sicht der Dinge mitgeteilt worden wär, weil so die emotionale Bindung an Cyra viel rascher voranschreitet, als es bei Akos der Fall ist.
Die Handlung ist spannend, mit vielen überraschenden Wendungen gestaltet. Aber da sich der Vergleich zur „Die Bestimmung-Reihe“ nun mal anbietet, muss ich sagen, dass insgesamt mehr in Roths erster Reihe passiert. Natürlich gibt es auch eine Reihe von actiongeladenen Momenten, aber die fallen insgesamt sehr knapp und sparsam aus. Roths neue Reihe lebt eher von den ruhigen, intensiven Momenten und eben von der Tatsache, dass es seine Erzählzeit dauert bis so eine komplexe Welt erschaffen ist. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass du durch diesen Schwerpunkt Langeweile aufkommt. Aber insgesamt geht alles sehr gemächlich von sich.
Fazit: Das Warten auf „Rat der Neun – Gezeichnet“ hat sich absolut gelohnt! Roth zeigt erneut, dass sie absolut in der Lage ist eine vollkommen neue dystopische Welt zu erschaffen, die so prägnant und detailliert präsentiert wird, dass sie real wirkt. Während die Handlung gegenüber Roths erster Reihe „Die Bestimmung“ etwas gemächlicher abläuft, sind mit Cyra und Akos wesentlich bessere Figuren geschaffen worden, die jeder ihre eigene Persönlichkeit und ihre Daseinsberechtigung in der Geschichte haben. Zum Ende hin wird die Geschichte dann so spannend gestaltet, dass ich den zweiten Band bereits jetzt nicht mehr abwarten kann, weil ich zurück in die Welt will, um all meine offenen Fragen beantwortet zu kriegen!