Rezension

Konflikte

Die Frau im Dunkeln
von Elena Ferrante

Ein Autounfall und eine mysteriöse Stichwunde bilden den Auftakt zu Elena Ferrantes neu aufgelegtem Roman „Frau im Dunkeln“. Die Erklärung der Protagonistin, ihre Verletzung  durch eine unsinnige Tat selbst provoziert zu haben, wirft einige Fragen auf.

Wir lernen Leda während eines Urlaubsaufenthaltes an der kalabrischen Küste kennen; eine beruflich erfolgreiche Frau im mittleren Alter, geschieden, deren zwei Töchter im Ausland studieren. Sie macht den Eindruck einer selbstbewussten, zufriedenen Frau. Am Strand hat Leda die Möglichkeit, täglich eine neapolitanische Großfamilie zu beobachten, wobei sie besondere Sympathie für eine blutjunge Mutter und deren kleine Tochter entwickelt, die einen sehr intensiven Kontakt zueinander pflegen. Dabei werden in Leda zahlreiche Erinnerungen an ihre eigene Vergangenheit geweckt.

In schlichter, aber sehr bildhafter Sprache beschreibt Ferrante den Zwiespalt in Ledas Empfindungen: auf der einen Seite das wunderbare Gefühl der innigen Verbindung zu solch einem kleinen Wesen, auf der anderen jedoch der weitgehende Verzicht auf  eigene Wünsche  und das schreckliche Gefühl, die Situation werde sich nie ändern. Durchaus stimmig und gänzlich ungeschönt schildert die Autorin den Anspruch an das vorbildliche Ausfüllen der Mutterrolle und dem Scheitern an der banalen Realität, dem Überfordertsein. Der Konflikt Ledas, sich für Karriere oder Kinder entscheiden zu müssen, ist recht eindrücklich dargestellt und gut nachvollziehbar; denn noch immer ist es für viele Frauen problematisch, Beruf und Familie zu vereinen. Schöne, aber auch viele negative Erinnerungen bestürmen Leda, Gewissensbisse lösen sich mit trotziger Selbstbehauptung ab, und schließlich lässt sie sich zu einer Tat hinreißen, die sie am Ende selbst als sinnlos bezeichnet.

Obwohl das Buch bereits im Jahr 2006 erstmalig erschienen ist, wird ihm erst heute mehr Beachtung geschenkt, nach dem großen Erfolg der später geschriebenen „Neapel-Saga“. Viele Themen, die in diesem Roman in knapper Form und stark verdichtet behandelt werden, greift Ferrante in ihrer Tetralogie wieder auf und gibt ihnen mehr Raum.

„Frau im Dunkeln“ geht unter die Haut; es ist ein sehr empfehlenswertes Buch: anspruchsvoll, gut nachvollziehbar und abolut ehrlich!