Rezension

Konkurrenz um knappe Rohstoffe, Wasser und Lebensräume

Der nächste Kalte Krieg
von Wolfgang Hirn

Bewertet mit 5 Sternen

Wolfgangs Hirn Blick in die Zukunft klingt düster, wenn er zwischen China und den von wirtschaftlich und politisch schwachen USA angeführten Staaten des Westens Kriege prophezeit um Rohstoffe, Wasser, Technologien, die Meere und die Kontrolle des Internets. Vor fast einem Jahrzehnt schon warnte Hirn mit "Herausforderung China: Wie der chinesische Aufstieg unser Leben verändert" seine Leser davor, es sich zu bequem zu machen mit der Klischeevorstellung eines Landes, das höchstens Entwicklungen anderer abkupfern könne. Hirn spann die sich bereits abzeichnende Entwicklung überspitzt weiter zu einer Zukunft mit China als führender Wirtschaftsmacht und einem beschaulichen Themenpark Europa, in dem wohlhabende Chinesen ihren Urlaub verbringen würden. Hirn appelliert nun erneut an die Deutschen, vom hohen Ross herunterzusteigen (S. 93), ihr überholtes Chinabild aufzupolieren und sich der Realität zu stellen. Angesichts des Säbelrasselns im südchinesischen und ostchinesischen Meer sieht Hirn Europa sogar in der Verpflichtung, in Asien nicht allein als Händler sondern aktiv als Verhandlungsführer für die kooperative Lösung von Konflikten zu sorgen. Voraussetzung für eine Vermittlerrolle wäre eine deutsche Chinapolitik, die diesen Namen verdient. Laut Hirn hat die bei deutschen Politikern beliebte Phrase vom "Wandel durch Handel" ausgedient. China hat sich trotz blühender Wirtschaftsbeziehungen zum Westen bisher nicht demokratisiert; warum es das auch zukünftig nicht tun wird, legt der Autor schlüssig dar.

Wolfgang Hirn liefert eine ernüchternde Bestandsaufnahme. Als größter Inhaber amerikanischer Staatsanleihen ist China heute mächtigster Gläubiger der USA und das Pentagon soll bereits Planspiele betreiben, wie ein Finanzkrieg zwischen China und den USA verlaufen könnte. Angesichts einer Sparquote im Land von rund 50% spielt bei chinesischen Investitionen Geld keine Rolle. In der Dritten Welt hat sich China inzwischen zum einflussreichsten Kreditgeber entwickelt, mächtiger als die Weltbank; denn das Riesenreich knüpft anders als westliche Staaten an die Kreditvergabe offiziell keine Bedingungen. Hirns Darstellung der jüngsten chinesisch-afrikanischen Beziehungen könnte irrtümlich den Anschein erwecken, chinesische Kaufleute würden selbstlos bedürftige afrikanische Staaten unterstützen, denen der Westen mit Forderungen nach Demokratisierung im Nacken sitzt. Doch die neuen Achsen der Weltwirtschaft von China nach Afrika und nach Brasilien entstehen stets strategisch ausgeklügelt in der Nähe bisher unausgebeuteter Rohstoffvorkommen und an Handelsrouten, die der neue Kolonialherr China im Interesse ungehinderter Rohstoffimporte gesichert sehen möchte.

In Deutschland wird es laut Wolfgang Hirn zunehmend Beteiligungen und Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Unternehmen geben. Deutschlands Spitzenposition im Maschinenbau und im Automobilbau sieht Hirn von chinesichen Konkurrenten mit ihren exzellent ausgebildeten Mitarbeitern bedroht. Obwohl die Chinesen die Fertigungsqualität von 50% auf 75% des deutschen Niveaus gesteigert hätten, wolle der Westen noch immer nicht wahrhaben, dass die technologische Lücke zwischen China und Europa ständig schmaler wird.

Aktivitäten direkt vor der Haustür der Europäer, wie der Neubau einer Autofabrik in Ungarn oder der Ausbau des Hafens von Piräus durch Cosco, scheinen hierzulande niemanden zu interessieren. Hirn hält es für höchste Zeit, das generalstabsmäßige Vorgehen des chinesischen Staates, chinesischer Banken und Unternehmen zur Sicherung von Marken, Märkten, Rohstoffen und Technologien zur Kenntnis zu nehmen. Die Dominanz von privilegierten Staatsunternehmen in Schlüsselindustrien und der planvolle Kauf wichtiger Rohstoffvorkommen durch machtvolle Konglomerate im Staatsbesitz Chinas signalisierten laut Hirn die aussichtslose Lage westlicher Marktwirtschaften, die staatliche Rohstoffpolitik noch immer für unvereinbar mit ihren Wirtschaftsystemen halten.

Neben einem drohenden militärischen Konflikt in Südostasien u. a. um Rohstoffvorkommen nennt Hirn denkbare regionale und weltweite Konflikte um Wasser, die Ausbeutung der Ozeane, des Weltraums und der Arktis. Ob es um mögliche neue Schiffahrtswege durch den Klimawandel, die Luft- und Raumfahrt, Gentechnik (frei von ethisch begründeten Beschränkungen) oder ein bezahlbares Elektroauto produziert in goßen Stückzahlen geht, China zeigt sich in allen Bereichen perfekt vorbereitet.

Der eilige Leser kann sich bei Wolfgang Hirn zügig informieren. Der Autor wertet, prägnant formuliert, aktuelle Meldungen und Meinungen der vergangenen beiden Jahre aus. Für Hirn ist ein Glas stets halb gefüllt, nicht halb leer. Aktuelle Trends in die Zukunft fortzudenken liegt ihm deutlich stärker als Kritik an den Schattenseiten dieser Entwicklungen zu üben. Wenn Hirn euphemistisch umschreibt, dass es in China derzeit n o c h kaum Umweltbewusstsein gibt, oder die Vorteile des chinesischen Staatskapitalismus für die neue Mittelschicht (auf Kosten weniger gut gestellter Bevölkerungsschichten) lobt, erkenne ich in seiner parteilichen Sicht wenig Unterschied zur Sichtweise jener Politiker, die noch immer auf Wandel durch Handel hoffen.
 

(Stand 25.4.2013)