Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Kopfkino ja, Meisterwerk nein

Miss Gladys und ihr Astronaut
von David M. Barnett

Bewertet mit 3 Sternen

Barnetts Roman ist einzuordnen in die Unterhaltungsliteratur/Belletristik. Das Buch kann von Jung und Alt gelesen werden, weil für jedes Alter was dabei ist (Mobbing, Scheidung, Demenz usw.). Ein großes Plus!

Als ich mit dem Lesen begann, wurde mir schnell klar, dass der Autor beim Leser einen gewissen Grad an Hintergrundwissen bzgl. der Raumfahrt(geschichte) vorausgesetzt hat. Ohne dieses Wissen kann man nicht alles, vor allem nicht jeden Witz, verstehen. Da ich mich sehr für die Raumfahrt interessiere, war das Lesevergnügen größer.

Den englischen Originaltitel „Calling Major Tom“ finde ich besser als den deutschen; er ist kürzer, prägnanter und sinnhafter. Major Tom ist ein fiktiver Astronaut, den David Bowie erfunden hat. Sein Song „Space Oddity“ ist weltweit bekannt. Der kanadische Astronaut Chris Hadfield (den gibt’s wirklich!) hat den Song im Weltraum in der Internationalen Raumstation ISS gecovert. Schaut und hört es euch unbedingt auf YouTube an =)

Auch das Buchcover der englischen Version finde ich schöner (https://www.amazon.de/Calling-Major-Tom-David-Barnett/dp/1409168131). Es ist romantischer, wohingegen das deutsche Buchcover verspielter ist. Das deutsche Cover würde ich nicht als schlecht bezeichnen, aber müsste ich mich entscheiden, hätte ich das englische Cover gewählt. Die verzierte Porzellantasse, die im All schwebt, wirkt irgendwie altbacken auf mich. Und warum guckt da ein Astronaut raus und winkt mit einer Fahne?! Das englische Cover zeigt einen riesengroßen gelben Mars, auf dem man die Silhouette eines auf einer Bank sitzenden Mannes erkennt. Die Silhouetten eines Mädchens, Jungen und einer älteren Frau stehen auf der Erde und schauen zu ihm hoch. Ist das nicht ein viel sinnhafteres Cover?!

Barnetts Schreibstil ist unkompliziert. Das Lesen geht einfach und schnell, was entscheidend ist für das Kopfkino. Es steckt viel Humor in der Story, aber auch Poesie an einigen Stellen. Besonders schön: als der kleine achtjährige Thomas im ersten Kapitel den Mond in seine Brusttasche steckt und sein Vater sagt: „Man weiß nie, wann man ihn mal brauchen kann.“ Und im letzten Kapitel ist es mit seinen 47-Jahren die Erde: „Ich hab die Erde, und alle, die auf ihr leben. Man weiß nie, wann man sie mal brauchen kann.“ Hier schließt sich ein Kreis und man versteht, dass Thomas sich selbst und seinem Vater vergibt.
Die Geschichte wird aus der Sicht mehrerer Figuren in der Ich-Form erzählt. Das erleichtert es dem Leser, sich in die Figuren hineinzuversetzen; man versteht, warum sie so sind, wie sie sind.

Die einzelnen Kapitel sind nicht sehr lang, sodass man nicht ermüdet. Man kann das Buch weglegen oder ab und zu mal drin lesen, ohne dass man mitten in der Handlung  abbrechen muss.
Einige Kapitel fand ich überflüssig. Sie haben die Geschichte nicht weitergetragen.
Der Autor hat mit vielen Rückblenden gearbeitet. Das empfand ich nicht als störend, auch wenn dadurch die Spannung auf Sparflamme gehalten wurde. Ich hielt das für notwendig, weil die Vergangenheit in dieser Story nun einmal eine große Rolle spielt. Die Spannung steigt zum Ende hin an. Ich kann mir eine Verfilmung sehr gut vorstellen, zumal Space-Filme zurzeit total angesagt sind.

Mich haben zwei Sachen besonders gestört:
1. Die vielen Zufälle: Thomas wird nach Major Tom benannt und er heißt mit Nachnamen „Major“. Thomas wird an dem Tag zum Astronauten „ernannt“, als David Bowie stirbt.
2. Die Unlogik: Einer wie Thomas könnte NIEMALS Astronaut werden, sowohl wegen seiner schwierigen Persönlichkeit als auch wegen seiner Inkompetenz. Er wird wegen einem PR-Gag von der BriSpa als Astronaut akzeptiert. Anstatt wichtige Handbücher zu studieren, löst er Kreuzworträtsel in seinem Raumschiff; befolgt die Anweisungen der Bodenstation nicht und hat Angst vor Weltraumspaziergängen. Er ist durch und durch ein Misanthrop, der vor den Menschen auf der Erde flieht und mit dem Gedanken spielt, sich auf dem Mars umzubringen. Das ist ziemlich weit hergeholt, wie ich finde.

Ich konnte mit keines der Figuren wirklich warm werden und war fast schon genervt. Ich fand sie in ihren Charakterzügen zu extrem (Tom zu griesgrämig, Ellie zu pessimistisch, James zu weinerlich, Delil zu relaxed…). Mir haben ausgleichende Figuren gefehlt.
„Die Geschichte einer unglaublichen Freundschaft!“ oder „Wahre Freundschaft kennt keine Grenzen!“ steht in den Klappentexten. Das, was zwischen Miss Gladys und Thomas ist, halte ich nicht für Freundschaft. Tom agiert nur aus Eigennutz: er hat Schuldgefühle, weil er sich für den Tod seines Bruders verantwortlich fühlt und glaubt, sein Gewissen erleichtern zu können, indem er James hilft. Außerdem möchte er endlich mal was Bedeutsames im Leben eines anderen Menschen bewirken, nachdem all seine Beziehungen gescheitert sind. Freundschaft ist viel mehr als das! Eine Andeutung von Freundschaft sehe ich zwischen Delil und Ellie.
Das Gefühl von Familienverbundenheit ist viel prägnanter in diesem Buch: Thomas kümmerte sich um seine Mutter, ließ sie ungern allein und gab seine Träume für sie auf. Miss Gladys, Ellie und James versuchen die Familie zu beschützen. Der Vater von Ellie und James ließ sich zu einem Verbrechen hinreißen, weil er seiner Familie helfen wollte. Es geht vor allem um Vergebung und Hoffnung. Dass man das Positive sieht und das Liebenswerte in jedem Menschen.
Das Buch steckt voller positiver Aussagen, aber nur oberflächlich und auf eine kitschige Art und Weise (Miss Gladys Mann stirbt nach einem Streit; ein Wettbewerb rettet die Familie). Die Ideen sind originell: Astronaut telefoniert aus dem All mit wildfremden Menschen auf der Erde und macht einen Flatus-Ignition-Test in seinem Raumschiff.
Das Buch hat mir schon Spaß gemacht aber es gab zu viele Stellen, an denen ich mit den Augen gerollt habe.