Rezension

Kreativ und experimentierfreudig

Vater telefoniert mit den Fliegen - Herta Müller

Vater telefoniert mit den Fliegen
von Herta Müller

Bewertet mit 4.5 Sternen

Schon seit ich zum ersten mal auf eine von Herta Müllers Collagen gestoßen bin, bin ich ganz verliebt in sie! Aus aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnittenen Wörtern setzt Müller eine ganz neue Welt zusammen. Es ist erstaunlich, wie sehr mir die abstrakten Texte teilweise ans Herz gehen. Und es ist erstaunlich mit wie viel Kreativität hier Geschichten erfunden werden, die trotz ihrer Kürze intensiv und rund zugleich sind.

  • ​​"Draußen an der leeren Fahnenstange hört man zum Glück nicht mehr die Eisenringe singen, vielleicht trauen sich jetzt die Kraniche zurück" - Seite 20

Ein bisschen schwierig ist es manchmal, dass es keine Satzzeichen gibt. Andererseits macht das auch viel vom Charme aus. Müller spielt damit, dass das Ende eines Satzes zugleich der Anfang des nächsten sein kann. Das ergibt ein sehr interessantes Spiel mit der Sprache. Besonders beeindruckt es mich, dass die Geschichten oft auch optisch eine Einheit bilden. Mal dominiert Grün, mal Blau, mal mehr farbige Wörter, mal mehr solche mit farbigem Hintergrund. Als ob es nicht allein schon knifflig genug wäre sinnvolle neue Sätze aus diesen Schnipseln zu bilden!

Natürlich ist „Vater telefoniert mit dem Fliegen“ nichts zum einfach runterlesen. Wie einen Gedichtband genießt man es am besten in Etappen. Und ich fand, dass gerade durch mehrmals oder laut lesen, die Texte noch an Kraft gewinnen.

  • "Angst ist ein greller Stoff der beim tragen auffällt wie ein Hühnerkopf als Brosche am Mantelkragen aber ein Polizist hat mal gesagt wunderbar dir glänzt steigende Furcht in den Augen wie Kaviar" - Seite 139 

Melancholisch, verwirrend, ästhetisch, experimentierfreudig, berührend, lustig, bizarr, schön. Mir fallen viele hübsche Adjektive zu diesem Büchlein ein. Günther Rüther schrieb in einem Buch über Herta Müller „Ihre Sprache ist bildreich und sparsam, schön und zugleich hart“. Und das trifft es ziemlich perfekt. Nach dem ich die „Schnipsel“ schon so sehr mag, bin ich umso gespannter auf ihre Prosawerke.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 04. Januar 2019 um 19:58

Oh,oh,oh, ... aber du wirst ihrer Prosawerke auch sicherlich gewachsen sein.

Eine Rezension, die mich fast staunen lässt. Bravo.

katzenminze kommentierte am 07. Januar 2019 um 18:56

Danke. Ich werd gleich rot. ;) Die Atemschaukel wartet hier schon.

wandagreen kommentierte am 07. Januar 2019 um 19:24

Ein Vergnügen ist das wahrlich nicht. Aber sehr interessant.