Rezension

Krieg als Rührstück

Die Nachtigall
von Kristin Hannah

Bewertet mit 3 Sternen

Es tut mir Leid. Ich trete jetzt der Hälfte meiner Freundinnen und vielen anderen Fans auf die Füße, aber dieses Buch war zu viel für mich. Zu viel Drama, zu viel große Gefühle und zu viel entsagungsvolles Heldentum.

Es ist 1942, Frankreich ist von den Deutschen besetzt und zwei Schwestern kämpfen sich durch das Chaos. Während Isabel dem französischen Widerstand beitritt, sogar als die berüchtigte Nachtigall Flüchtlinge über die Pyrenäen führt, schlägt Vianne die Schlacht ums Überleben am heimischen Herd, erträgt Einquartierungen von Nazioffizieren, hilft jüdischen Freunden wo sie kann.
Das ist schrecklich, eine traurige Geschichte, die einen Querschnitt durch alle Gräuel des zweiten Weltkrieges plastisch und gefühlvoll darstellt. Man leidet mit und watet durch den tiefsten Sumpf. 

Leid wird hier großgeschrieben. Vianne und Isabel widerfährt wirklich alles, was man sich so vorstellen kann. Und an dieser Stelle kann man schon den ein oder anderen logischen Schnitzer bemerken. Wenn beispielsweise die zurückhaltende Vianne ihre jüdische Freundin glatt zum Bus bringt, wenn sie deportiert werden soll und dann Nazisoldaten bei der Arbeit beobachtet, kann man tief bestürzt sein, oder sich fragen, warum sie denn nicht zu Hause in Sicherheit geblieben ist.
Wenn Isabel sich mit blutenden Füßen durch die Berge schleppt und dabei die gestandenen Soldaten aufrichtet, die sie führt, kann man ihren Mut bewundern oder sich fragen, was genau sie da tut, wo sie doch explizit einen Bergführer aufgetrieben hat. Unternimmt sie diese qualvolle Tour nur, um die Moral zu heben? 
Diese Geschichte ist mitreißend, aber immer wieder stürzt sich eine der Schwestern in größte Gefahr, was nüchtern betrachtet unnötig ist. Ich denke an solchen Stellen: Warum tut sie das? Nur damit wir life bei einer Judendeportation dabei sind und keinen neuen Handlungsstrang verkraften müssen?

Auch der Erzählstil ist gefühlvoll und eindringlich, schießt aber immer wieder über das Ziel hinaus. 

„Es war unwichtig, dass sie gebrochen und hässlich und krank war. Er liebte sie und sie liebte ihn. Ihr ganzes Leben hatte sie gewartet, sich gesehnt, nach Menschen, die sie liebten und jetzt erkannte sie, worauf es wirklich ankam. Sie hatte die Liebe erlebt, war gesegnet mit ihr. Papa, Maman, Sophie…“

Nichts gegen große Gefühle, aber hier werden sie so plakativ zur Schau gestellt, dass weniger sensible Gemüter augenrollend weiterblättern. In einem simplen historischen Roman würde man die Kitschfrage diskutieren. Hier liegt ein schweres Thema auf dem Tisch, da wagt man es nicht. Dennoch watet man durch riesengroßes Leid, mal eindringlich, dann wieder wirklich blumig erzählt.

Dieses Buch lässt einen eindringlich den Krieg erleben und entwickelt eine Art Sogwirkung. Nur leider wird hier für meinen Geschmack so dick aufgetragen, dass das schreckliche Geschehen bisweilen lächerliche Züge trägt und die Tragik in Rührseligkeit untergeht.
 

Kommentare

Arbutus kommentierte am 28. Dezember 2016 um 19:54

Du hast nicht ganz Unrecht.