Rezension

Krimi und emotionales Zeitzeugnis - gelungene Kombination

Die andere Hälfte der Hoffnung - Mechtild Borrmann

Die andere Hälfte der Hoffnung
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

Matthias Lessmanns Leben ist von einer Sekunde auf die andere vollkommen auf den Kopf gestellt: Als ein frierendes Mädchen plötzlich barfuß und leicht bekleidet auf seinem Hof steht. Der Bauer nimmt das junge Mädchen auf und gewährt ihr Schutz vor ihren Verfolgern. Dadurch gerät er mitten hinein in eine Geschichte voller Korruption, Gewalt und Menschenhandel. „ […] Aber Hoffnung – das habe ich viel zu spät verstanden – ist ein lähmendes Gift, das uns ausharren lässt.“ (S. 17) Währenddessen wartet Walentyna verzweifelt darauf, dass ihre Tochter zurückkehrt. Sie hat seit Monaten nichts mehr von ihr gehört. Sie scheint spurlos verschwunden, wie viele andere Studentinnen, die nach Deutschland ausgewandert sind. Um das Warten erträglicher zu machen, beginnt sie, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben.

Meinung

Mechthild Bormann schreibst sehr schlicht und schnörkellos. Und dennoch hat sie es geschafft, dass ich das Buch in nur wenigen Stunden gelesen habe. Mit „Die andere Hälfte der Hoffnung“ hat sie mich vom ersten Satz an in Atem gehalten. Eine Kriminalgeschichte, die durchweg spannend und unfassbar ist. Aber das Buch ist viel mehr, es ist ein Zeitzeugnis der Geschehnisse in Terschnobyl und ein Zeugnis von den Folgen dieser Katastrophe. Es ist eine tragische und ergreifende Familiengeschichte. Eine Geschichte, die unter die Haut geht.

Trotz dieser drei so unterschiedlichen Erzählstränge wirkt das Buch keineswegs überfrachtet. Denn Borrmann ist eine hervorragende Komposition aus diesen drei Sichten gelungen. Die kriminalistischen Aspekte laufen nahtlos in die zeitgeschichtlichen Geschehnisse und das Familienschicksal Walentynas über. Sie schreibt uns ihre Erinnerungen an ihr Leben und besonders die Jahre rund um die Tschernobyl-Katastrophe auf.

„‚Ich schreibe, weil ich darauf hoffe, dass du diese Zeilen einmal lesen wirst. Wider aller Vernunft halte ich dem Schicksal dieses Heft wie einen Köder hin. Weil ich es nicht ertrage, untätig zu sein. Weil ich es nicht ertrage, ohne Hoffnung zu sein.‘“ (S. 104)

Sie schreibt für ihre Tochter. Die Tochter, die seit Monaten spurlos verschwunden ist. Die in Deutschland studieren und arbeiten wollte und seit dem kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat.

„Dass er von ihr als Tanja sprach, hatte für einen Moment die Schmerzen gelindert. Das passierte nicht ihr und ihrer Freundin. Das passierte Marina und Tanja.“ (S. 31)

Gleichzeitig erleben wir in einem anderen Handlungsstrang eine packende Kriminalgeschichte. Als ein frierendes, leicht bekleidetes Mädchen auf dem Hof von Matthias Lessmann auftaucht. Dessen Leben ab diesem Moment für die nächsten Monate vollkommen durcheinander kommt, der aber auch aus seiner Litanei entkommt. Und der in einer Geschichte landet, die grauenvoller nicht sein könnte und die leider auch harte Realität ist. Ein Geschichte voller Korruption und Menschenhandel, in denen sich reiche Menschen mit viel Einfluss die Not der Kinder der Terschnobylopfer, die alle an der Armutsgrenze vollkommen ohne Perspektive in der Ukraine leben, zu nutze machen, um sie auszubeuten und zur Prostitution zu zwingen.

„Ein Gespinst aus Lügen, von Anfang an. Ihre Lügen und seine. Und wie ein Insekt hatte er sich in den feinen Fäden verfangen.“ (S. 244)

Fazit

Mechthild Borrmann verwebt die Geschichte des hilflosen, fliehenden Mädchens, mit der Geschichte von Leonid, der in der Korrupten Miliz verzweifelt versucht den Fall der verschwundenen Tochter von Walentyna aufzuklären. Diese gehen wiederum lückenlos und perfekt in die Lebensgeschichte Walentynas über. Eine gelungene Kombination, die mich unterhielt, packte und allen voran sprachlos machte und mich tief ergreifen konnte.