Rezension

Kurzweilig & solide, aber das Potenzial wurde nicht vollends ausgeschöpft

Das Auge von Licentia - Deana Zinßmeister

Das Auge von Licentia
von Deana Zinßmeister

Bewertet mit 3 Sternen

Das Auge von Licentia“ ist der erste Jugendroman der Bestsellerautorin Deana Zinßmeister, die sich sonst ausschließlich im historischen Bereich bewegt. In diesem Buch widmet sie sich einem eher moderneren Thema, das momentan in aller Munde ist: Reality-TV. Ein Genre von Fernsehprogrammen, in denen vorgeblich oder tatsächlich versucht wird, die Wirklichkeit abzubilden. Und das in Form einer Fernsehshow.

Die Bewohner der mittelalterlichen Siedlung Licentia befinden sich in einer solchen Fernsehshow, die schon seit vielen Jahren von den Zuschauern mit Begeisterung verfolgt wird. Die 15-jährige Jonata ahnt nichts davon und führt mit ihrer Familie ein antiquiertes, aber dennoch zufriedenes Leben. Als sie eines Tages mit den Burschen auf die Jagd gehen darf, trifft sie auf den reizvollen Jungen Tristan, der zum verfeindeten Clan der Wolfsbanner gehört. Eine Gruppe von Menschen, die sich von den Licentianern abgespalten hat, um ein Leben nach ihren Wertvorstellungen in Gesellschaft von Wölfen zu führen. Dieses Aufeinandertreffen hat weitreichende Folgen, da die Lügen und Geheimnisse der Dorfbewohner nun langsam ans Tageslicht kommen.

Dieser Roman ist eine Mischung aus einigen Hollywoodfilmen wie „Die Truman Show“, „The Village“ und „Romeo & Julia“. Eine junge Liebe, die nicht sein darf, in einem von der realen Zivilisation abgeschiedenen mittelalterlichen Dorf, das ohne Wissen der Hauptfiguren im Fernsehen übertragen wird. Diese Thematik fand ich überaus interessant. Nur leider hat mich die Umsetzung ziemlich enttäuscht.

Anfangs war ich noch begeistert und neugierig, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Diese Neugier sowie der einfache, lebhafte Schreibstil trugen mich förmlich durch die Seiten. Auch die Schilderung aus der Sicht eines allwissenden Erzählers, der die Perspektive der jeweils agierenden Charaktere einnahm sowie die kurzen Kapitel bauten eine gewisse Dynamik auf. Doch das Spannungslevel an sich hielt sich in Grenzen. Es entstand eher Verwirrung. Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin nicht genau wusste, auf welches Thema sie den Schwerpunkt legen sollte. Einerseits wollte sie die Geschichte des jungen Paares erzählen, aber andererseits auch nicht das große Drumherum aus den Augen verlieren. Doch diese Strategie ging nicht auf. Im Endeffekt wollte sie zu viel. So rückte die unschuldige, rührende Liebesgeschichte ein wenig in den Vordergrund, aber die anderen – vielleicht sogar interessanteren Themen – wurden nur angerissen und rückten in den Hintergrund.

Aber auch die Romanfiguren gingen in diesem Durcheinander ein wenig verloren. Zum Teil hatten sie sogar etwas Schematisches. Jonata verkörperte das naive, liebe Mädchen mit einer leicht rebellischen Ader und Tristan den charmanten, starken Helden, der vor nichts zurückschreckte. Das war im Grunde auch nicht weiter schlimm. Ich mochte die beiden und ihre unverdorbene Herangehensweise an die Liebe, aber trotzdem wirkte es so, als ob alle Figuren eine festgelegte Rolle einnahmen und wie auf einem Schachbrett hin- und herbewegt wurden, um möglichst viele Situationen und Konstellationen anzuspielen. Dadurch blieben die Charaktere allerdings relativ flach.

Gut, nun könnte man natürlich so argumentieren, dass es sich hierbei um einen Jugendroman für Leser ab 12 Jahren handelt und es der Altersempfehlung entsprechend gestaltet wurde. Das mag sein. Aber wenn man diesen Roman zum Beispiel mit die „Tribute von Panem“ vergleicht, stellt man fest, dass Deana Zinßmeister ruhig anspruchsvoller hätte sein können. Denn meines Erachtens hatte dieser Stoff ein unglaubliches Potenzial, das leider nur teilweise ausgeschöpft wurde. Der Ausstieg aus dem technogenen System, die Liebe zwischen zwei Sprösslingen verfeindeter Clans, die Sensationsgier der Zuschauer sowie die Enthüllung der Wahrheit. Alles Themen, die man spannungsreicher, tiefgründiger und sozialkritischer hätte umsetzen können.

Trotz der ganzen Kritik fand ich die Geschichte unterhaltsam und war von der ausdrucksvollen mittelalterlichen Atmosphäre, die die Autorin erschaffen hat, begeistert. Gerade in diesem Punkt konnte sie mit ihrem Erfahrungsschatz aus elf historischen Romanen glänzen.

Fazit: Eine kurzweilige, solide Geschichte mit süßer Lovestory, allerdings mit einem zu oberflächlichen Handlungsbogen. Das Potenzial der Thematik wurde leider nicht vollends ausgeschöpft. Junge Leser, die Liebesgeschichten á la Romeo & Julia mögen, werden ihre Freude an diesem Roman haben.