Rezension

Kurzweilige Spannung

Schnick, schnack, tot - Mel Wallis de Vries

Schnick, schnack, tot
von Mel Wallis De Vries

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Schnick, schnack, tot" ist ein rasant erzählter Jugendroman, der allein durch wechselnde Erzählperspektiven und schnelles Tempo kaum Langeweile zulässt; zudem lädt die erzählerische Gestaltung zum Miträtseln ein und als Leser traut man zunächst nahezu jeder Figur zu, die getötete Kiki ermordet zu haben.

Prinzipiell handelt es sich bei "Schnick, schnack, tot" um einen klassischen Whodunnit-Krimi, der sich durch eine eher ungewöhnliche Erzählweise auszeichnet: Denn begleitet man die Jugendliche Kiki im Mittwochnachts spielenden Prolog zum heimlichen Stelldichein mit ihrem unbenannt bleibenden Mörder, welches Kiki eben nicht mehr lebend verlässt, springt man mit dem ersten Kapitel zurück zur am früheren Mittwoch stattgefunden habenden Anreise der Klassengemeinschaft und fortan wechseln die Erzählstimmen stetig zwischen der kleinen Mädchenclique rund um Kiki, einigen nicht minder coolen männlichen Mitschülern und auch zwei Klassenkameradinnen, die eher als Außenseiter bzw. Einzelgänger gelten. Aber auch die lehrenden Begleitpersonen kommen mitunter zu Wort, ebenso wie später der die Ermittlungen leitende Polizist. 
"Schnick, schnack, tot" wird somit also komplett "von innen" erzählt; wer die Ich-Perspektive nicht mag, ist mit diesem Roman falsch beraten - ebenso wie jemand, der eine klare Identifikationsfigur, eine eindeutige Hauptfigur, schätzt.

Ich war eingangs ein wenig irritiert ob der geringen Schüleranzahl, stellte allerdings später fest, dass sich der Roman lediglich auf die Figuren konzentrierte, die in irgendeiner näheren Verbindung mit Kiki standen, hauptsächlich eben die "coolen" Schüler und die Außenseiter, die sich mitunter danach sehnten, eben dieser ihrer Rolle zu entfliehen.  
Die breite Mitte wurde wenn überhaupt nur beiläufig erwähnt. 

Die geschilderte Belegschaft entsprach insgesamt einem üblichen Schnitt: die beliebten Schüler, die Rebellen; die tonangebende Zicke, deren Freundinnen aus Angst um ihren eigenen sozialen Status sie kaum zu kritisieren wagten; die Streber, denen man nichts zutraute; die Naiven, die Außenseiter, die für ein wenig gezeigter Freundschaft sehr viel zu tun bereit waren. Es gab den populären Lehrer ebenso wie die unbeliebte Lehrkraft.
Ich denke, in der Masse der Figuren dürfte sich jeder wiederfinden: Selbst wenn man zur breiten Masse gehört hatte (oder angesichts der anvisierten Leserschaft: gehört), wird man sich doch an wenigstens eine Klassenfahrt erinnern, die von dieser echt tollen Lehrperson bzw. diesem fiesen Drachen begleitet wurde; Außenseiter werden mit den Einzelgängerinnen dieses Romans mitfühlen können und auch die tonangebenden Schüler werden sich wiederfinden. 
Die Figuren sind einfach authentisch dargestellt und da Kiki sich sogleich als arrogante Dramaqueen entpuppte, die selbst ihren Freundinnen ein Mordmotiv bot, ist "Schnick, schnack, tot" auch schon darum ungemein spannend, dass es sich hier eben um Menschen wie Du und Ich handelte, die zwar nicht immer sympathisch waren, aber eben auch nie so böse dargestellt als dass man ihnen einen Mord zugetraut haben würde. Der Mordfall fiel da sehr in die Kategorie "als habe sich im eigenen Umfeld ein Mord abgespielt und der Mörder gehöre definitiv dem Bekanntenkreis, womöglich gar dem engsten Freundeskreis, an"; wer sich mit vielen bösen Menschen umgibt, wird da kaum Vorstellungsprobleme haben, aber ich denke, dass Gros der Leserschaft, erst recht der angestrebten Leser (ich würde den Roman, wie esa uch der Verlag macht, ab ca. 14 Jahren empfehlen), traut doch niemandem aus dem persönlichen Umfeld so mirnichtsdirnichts einen kaltblütigen Mord zu. 
Umso erschreckender, wenn man auch in diesem Jugendroman mit einer mordenden Person konfrontiert wird, der man so ein Verbrechen nicht zugetraut hätte - und feststellt, dass man den Mord aber selbst doch auch jedem erzählenden Schüler zutraut und die jeweils ausgemachten Motive sogar nachvollziehen kann. Hier gab es tatsächlich nicht eine Figur, bei der ich mich gewundert hätte, wäres ie als Mörder entlarvt worden; darum fand ich es auch recht erholsam, dass später auch der Polizeibeamte zu Wort kommen durfte, denn dies waren nahezu die einzigen Kapitel, in denen ich nicht überlegte, ob die aktuelle Erzählstimme die des Mörders wäre. Dennoch wusste mich die letztliche Auflösung bzgl. der Verbrechenshintergründe doch noch ein wenig zu überraschen.

Überrascht hat mich auch, dass die gebundene Ausgabe hier fast 300 Seiten umfasst: Mir war "Schnick, schnack, tot" sehr viel kürzer vorgekommen; ich hätte die Länge des Buchs auf maximal 180 Seiten geschätzt: Es ließ sich ungemein flüssig lesen; ich wollte auch unbedingt wissen, wer es denn nun getan hatte und ich denke, grad durch die ständig wechselnden Erzähler und den Umstand, dass sich die gesamte Erzählung innert eines stark verkürzten Zeitraums abspielt, schien es verstärkt so als würden die Seiten bis zum Romanende nur so dahinfliegen.  
Ohnehin hätte ich im Vorfeld auch mit einem weitaus weniger komplexen Konstrukt und aufgrund der Kurzbeschreibung mit mehr "Kindlichkeit" gerechnet; also auch da wusste der Roman mich positiv zu überraschen. 

In meinen Augen ist "Schnick, schnack, tot" zweifelsfrei ein absolut gelungener Jugendkrimi, den ich definitiv weiterempfehlen möchte!