Rezension

Lächelnde Nebelseeschlangen

Anik & das Geheimnis des Meeres - Tanja Heitmann

Anik & das Geheimnis des Meeres
von Tanja Heitmann

Bewertet mit 3.5 Sternen

"So sind die Gesetze."

'Ein Buch für die ganze Familie', schreibt man so was heutzutage wirklich noch? Muss denn so etwas sein? Nur weil andere Bücher, die als Kinder- und Jugendbuch eingeordnet sind auch die Eltern und großen Geschwister erreichen? Nein, mal ernsthaft, lasst uns einmal für einen Moment darüber nachdenken, ob so eine Unterzeile nicht vielleicht doch etwas großspurig wirken könnte.
Meine erste Tat, nachdem ich diese Abenteuergeschichte gelesen hatte war, die Autorin zu 'suchmaschinen' in der Hoffnung, meinen Verdacht zu bestätigen. Und tatsächlich:
„Die Idee für diese phantastische Geschichte kam mir, weil ich meinem Sohn unbedingt auch einmal dieses Leuchten aufs Gesicht zaubern wollte, für das ansonsten immer Lindgren, Funke & Co. verantwortlich waren. So fand Anik seinen Weg aufs Papier – er ist sozusagen Justus’ großer kleiner Bruder, der jede Menge Abenteuer mit Drachen, Meereskatzen und Funkenmännern erlebt.“(http://www.tanja-heitmann.de/
 
Genau dieses Gefühl hatte ich beim Lesen auch. Leider beantwortet diese Stellungnahme aber nicht die Frage: Und? Haben die Augen des Kindes geleuchtet?
Ich bin unentschlossen, auch nach einer Nacht darüber schlafen, stelle ich verzweifelt Gewichte auf die Waage. Einerseits hat es mir immer mal wieder so richtig gut gefallen. Andererseits war mir alles zu einfach, Problemlos und stringent. Dann jedoch musste ich immer daran denken, das es ja um ein Kinderbuch geht, welches sich daran halten sollte, nicht zu verzwickt zu sein. Allerdings dachte ich auch jedes Mal, das die Protagonisten echt sehr Vertrauensselig sind. Ja, ich kam sogar zu dem Schluß, das sie sicher auf ihrer Reise den falschen Opas vertrauen werden und sich der Häscher, der ihnen ständig hinterher ist, sich als 'der Gute' entpuppen wird. Wenn man ihm dann mal zuhören würde.
 

"Genau wie der ursprüngliche Name der Universität,
die einst Die Weiße hieß,"

Von der Phantasie her bedient sich Frau Heitmann in den unterschiedlichsten Regalen. Kaum ein Abschnitt kommt ohne Quergedanken aus die mir durch den Kopf geschossen sind. Wir haben Wolfsrudel, Drachenreiter, Meerjungfrauen, Haifischkrieger, Katzen die Kleidung tragen, Gummibären- Schnelltunnel, Schwammköpfe, Schnitzel, Bibliotheken, Gärten mit blauen Beeren und so vieles mehr.
Ich hatte jedoch nicht das Gefühl auf irgendwelche richtig spektakulären Wesen zu treffen. In dieser Fabel ist alles am Sprechen, angefangen bei den Wölfen, bis hin zu dem Funkenmann. In den Teilen, bei denen man mal abweichende Phantasie hätte zeigen können: „Tropfenfeen“, „Sommerwolkenmädchen“ und „Blitzherolde“ fehlt es jedoch gänzlich an einer Beschreibung, was schade ist, ich hätte mir nämlich viel mehr von der eigenen Kreativität der Autorin gewünscht. 
 
Für mich als erwachsene Leserin waren die Geheimnisse um die Charakterkonstellationen schon relativ früh gelöst. Aber ich nehme an, dass Kinder da wesentlich zugänglicher und überraschter sein könnten, wenn gewisse Umstände ans Licht kommen. Ebenso schlicht ist die Sprache, die bis auf 'Asservatenkammer' leicht verständlich ist. Die Charaktere reden und denken sehr viel und weisen positive Charakterzüge auf: Verantwortungsbewusstsein, Mut und Freundlichkeit.
 

"ein Symbol für die Reinheit des Wissens,
erbaut aus einem seltenen weißen Stein."

Die Geschichte beginnt auf der Welt Aenigma (Enigma= Geheimnis), vom Wind über das 'Tiefe Blau' getrieben zu einer Insel im Ozean der 'Grundlose Gezeiten', auf dem ein Leuchtturm steht. Nicht weit ab davon ein Busch unter dem zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, hocken und Algenfladen essen und postwendend angeekelt ausspucken. Das sind Anik Berdrum, der Sohn des Leuchtturmwächters und Polly. „Einfach nur Polly?“(S 217)- Ja, nur Polly. Der erste Antagonist, Aniks Vater, der das gestrandete Gör von der Insel verweist- aber macht ja nichts, Polly ist sich ziemlich sicher, obwohl sie ihr Gedächtnis verloren hat, dass sie segeln kann. Mit Opa Berdrums Boot macht sie sich dann mitten im Sturm auf den Weg und Anik springt verantwortungsvoll hinten drein und stellt fest, dass er- obwohl auf einer Insel lebend- gar nicht schwimmen kann. Der Grund ist bestimmt dieses hartnäckige Garn, dass man es dann im Fall des Ertrinkens einfacher hat und nicht so lange leidet.  

Und als ob Vati nicht schon drakonisch genug wäre, nein, taucht auch noch ein 'entflammter Drache' auf und will Polly holen. Mahlstrom oder Drache? Die Kinder nehmen den Strudel und ab hier beginnt das eigentliche Abenteuer. Und es ist an wundersamen Tieren, Verstecken und Menschen nicht gespart worden. An jeder Ecke begegnen uns mysteriöse Dinge. Eines davon habe ich euch hier mal eben mitgebracht: 'Die Kartenhülle'. Nur um mal kurz darauf zu verweisen, dass die Kinder wirklich vielen skurrilen Wesen begegnen. 

'Die Kartenhülle' Skizze von mir (BLG)
 

"Du würdest wohl auch auf dem Trockenen ertrinken,
wenn dir ein Tropfen Wasser in den Hals fällt."

Allerdings find ich das manchmal auch wirklich sehr viel auf so wenig Geschichte. Alles läuft dann auch mehr oder weniger glatt, andauernd begegnen sie Leuten, die sie gar nicht kennen, die aber alle gutmütig und hilfsbereit sind- die Kinder brauchen gar nichts selber tun, sie bekommen alles vorgekaut. Erhalten alle Nase lang praktische Gegenstände wie ein Glas 'Essenz- Brühe' oder wichtige Informationen von quatschenden Flüssen. Entschuldigung aber irrt sich auch nur einmal eine dieser Quellen? Die Seligkeit ist furchtbar anstrengend in diesem Werk. Alles steckt voller Gutmenschen und auch Katla die echte Antagonistin ist eindimensional und schon so früh als 'das ultimative Böse' stigmatisiert, das auch hier den Kindern wieder keine andere Wahl bleibt als diese Beurteilung anzunehmen. Obwohl Polly zu Anfang noch mehrmals zeigt, dass sie in der Lage ist Spielräume einzuräumen und Mitleid zu empfinden. 
 

Fazit: 

Soll diese Geschichte einem jungen unbescholtenen Leser wirklich vermitteln: Ja, geh' hinaus in die Welt, es wird schon alles gut gehen!? 
Gelungen aus Sicht einer Erwachsenen finde ich die Beziehung der beiden Kinder. Denn diese ist von Freundschaft geprägt und es gibt keine Spur von beginnender großer Liebe. Die Reise an sich ist jedoch nur eine abenteuerliche Flucht wie sich heraus stellt, die einen kleinen dramatischen Höhepunkt erfährt, Anik kurzzeitig zweifeln lässt, dann aber doch in einem Berge versetzenden Ende gipfelt. 
Und trotzdem hat mir die Welt die mir hier geboten wurde viele herrliche Ecken und Kanten gezeigt. Aenigma bleibt mir jedoch noch größtenteils ein Rätsel. Ich finde hier Parallelen zu verborgenen Welten wie bei 'Mio, mein Mio' von Astrid Lindgren oder 'The Whispered World' vom Spielehersteller Daedalic. Die Liebe zum Detail all der Kreaturen ist herausragend, die kleinen moralischen Einschübe aber eher schwer zu entdecken.

Hätte ich so eine Geschichte als Kind gemocht? Ja.
Ein Urteil welches 'Nebelseeschlangen' lächeln lässt: fein.

Das Original bei den Lesekatzen
Mein Dank an Darkstars Fantasy News