Lässt sich etwas Unverzeihliches verzeihen?
Bewertet mit 5 Sternen
Jodi Picoult, die sich in jedem ihrer Bücher mit menschlichen Dilemmas auseinandersetzt, widmet sich in ihrem ergreifenden Roman „The Storyteller“ dem großen Thema Vergebung – und das vor dem Hintergrund einem der wohl unverzeihlichsten Verbrechen; dem Holocaust.
Sage ist eine Einzelgängerin. Die junge Bäckerin lebt zurückgezogen und hat nur wenige soziale Kontakte. Sie freundet sich überraschend mit dem 95-jährigen Josef Weber an, der sich eines Tages mit einer schockierenden Bitte an Sage wendet: Er möchte, dass sie ihm beim Sterben hilft. Josef ist überzeugt, dass er den Tod verdient hat, denn er war SS-Aufseher in einem Konzentrationslager. Bevor sie ihn tötet, soll Sage ihm jedoch seine Taten vergeben. Sage stammt aus einer jüdischen Familie, hat sich jedoch von der Religion abgewandt. Ihre Großmutter Minka hat den Holocaust in Auschwitz und Bergen-Belsen nur knapp überlebt.
Erzählt Josef ihr die Wahrheit über seine Vergangenheit? Sollte Sage ihm helfen? Will sie ihm überhaupt helfen? Wenn ja – tut sie es aus Gerechtigkeit oder aus Rache? Kann sie überhaupt als Stellvertreterin für die Getöteten sprechen, nur weil sie jüdischer Abstammung ist?
Drei zusätzliche Erzählstränge werden sorgfältig in diese Rahmenhandlung eingeflochten: Minkas Erinnerungen an die Nazi-Zeit aus der Opfer-Perspektive, Josefs Erinnerungen aus der Täter-Perspektive und eine fiktive Grusel-Geschichte, die Minka als Jugendliche geschrieben hat und die die Handlung des Buches metaphorisch spiegelt.
Die verschiedenen Erzählebenen und Blickwinkel bereichern „The Storyteller“ und machen den Roman zu einem komplexen, bewegenden und beinahe schmerzlich zu lesenden Werk. Dank Picoults gewohnt detaillierter Recherche vermittelt sie die historischen Geschehnisse und Einzelschicksale glaubwürdig. Sie sprach unter anderem mit mehreren Holocaust-Überlebenden und baute deren persönliche Erlebnisse in die Handlung ein.
„It was humbling and horrifying to realize that the stories they recounted were non-fiction. Some of the moments these brave men and women told me will stay with me forever: such as Bernie […] how his mother promised him that he would not be shot in the head, only the chest – can you imagine making that promise to your child?!“ - Jodi Picoult
Die Bestseller-Autorin hat einige Wörter und Sätze auf Deutsch in den englischen Text eingestreut, um Minkas und Josefs Erinnerungen zusätzlich Atmosphäre zu verleihen. Schade, dass es bei Atria Books anscheinend keinen Lektor mit sehr guten Deutschkenntnissen gibt, aber die vereinzelt auftretenden Grammatikfehler in den deutschen Passagen schmälern das Leseerlebnis kaum.