Rezension

Langatmig und anstrengend

Die Wahrheiten meiner Mutter -

Die Wahrheiten meiner Mutter
von Vigdis Hjorth

Bewertet mit 3 Sternen

Nicht unbedingt ein Buch, das die Welt braucht

'Die Wahrheiten meiner Mutter' (Im Grunde: Die 'Wahrheiten' der Tochter) ist eine Roman-Empfehlung des Magazins ' Die Zeit'.

Ich griff wegen der Thematik, Mutter-Tochter-Beziehung, Familie, zu diesem Buch. Das Cover, schlicht und völlig nichtssagend, hätte mich niemals in seinen Bann gezogen.

Die Protagonistin, Johanna, in den 60igern, Künstlerin, kommt, nachdem sie 3 Jahrzehnte zuvor der Familie den Rücken gekehrt hatte, aus Utah (Kanada) zurück nach Norwegen, in ihre Heimatstadt, und bezieht eine Hütte im Wald, die nur wenige Kilometer von der Wohnung der 80jährigen Mutter entfernt liegt: Thema Kontaktabbruch. 'Im Gegensatz zu den dreißig vergangenen Jahren bestand jetzt die konkrete Möglichkeit, ihr über den Weg zu laufen (19)'. Der Roman beginnt damit, dass Johanna ihre Mutter anruft, die nicht anhebt. Die Mutter lebt mit Johannas sechs Jahre jüngeren Schwester Ruth ('Ich weiß nicht, was Ruth beruflich macht, ich habe sie gegoogelt, konnte es aber nicht herausfinden (70)'). Eine Nebenrolle spielen u.a. Johannas Sohn, John, der in Europa lebt, und der Anwalt Thorleif, ihr Ex-Mann. Mark, Johannes Lebenspartner, ist inzwischen verstorben.

In Endlosschleife und manisch ruft Johanna ihre Mutter an. Das Schweigen ihrer Mutter lässt ihre keine Ruhe, das innere Kind will Heimat (Heilung) finden ('...ich habe mich immer allein auf der Welt gefühlt. Das ist mein Grundgefühl...,denn ich bin ein verletztes Kind (152)' ; ('Aber sie antworteten nicht auf meine Kontaktversuche, ihre Kränkung ist größer als ihre Neugier (90)' Johanna beobachtet das Mietshaus, in dem die Mutter lebt und stalkt sie ('Sie können mich nicht aus ihrem Familienstammbaum streichen (116)'), bis sie schließlich in die mütterliche Wohnung eindringt und ihre Mutter 'stellt', wie ein schwer bewaffneter Jäger ein hilfloses Kaninchen. Anlass des Kontaktabbruchs soll neben anderem die Tatsache sein, dass die Protagonistin nicht zu der Beerdigung ihres Vaters erschien.

Im Grunde sind die fast 400 Seiten (399) ein ununterbrochener innerer Monolog, Fragen über Fragen, Hypothesen, Interpretationen, wenig Außenhandlung. Eine mentale und emotionale Rückkehr in die eigene Kindheit und Jugend (Johanna leidet unter Fremdbestimmung, die Mutter ist schuld, wie so oft sind es immer die Mütter), um den Ursachen auf den Grund zu kommen, angeblich die Mutter besser zu verstehen. In den Anfängen schien die Mutter ihrer Tochter zugetan, lobte deren künstlerische Kreativität, später empfand Johanna sie als eine vom Vater Abhängige, ihm hörig. (…'...sie wollte nicht frei werden, wagte es nicht, sie hatte immer unter seiner Vormundschaft gestanden... (179)'). So sieht es Johanna, denn eine andere Perspektive gibt es nicht. Niemand anderer kommt zu Wort oder bekommt die Chance, seine Perspektive zu schildern. Einseitig. Subjektiv. Wen von uns sollte so dermaßen das Schicksal einer Johanna respektive Hjorths interessieren, zumal es sich um keinen Einzelfall auf unserem Globus handelt? Was ist Wahrheit? Was Umdeutung der Vergangenheit? Was durch Verletzung geformte Interpretation? Muss der Leser unbedingt dabei sein, wenn die zum Tode Verurteilten öffentlich zum Schafott geführt werden? Johanna ist das 'Opfer', eigentlich durchgängig, nur ganz kurz flammt so etwas wie Empathie auf, als die Mutter der Tochter leid tut, aufgrund ihres selbst durchlebten Leides, Familientraumata, weiter gegeben, Epigenetik. Hjorth habe sich auf Selbstentblößung-Literatur fokussiert, liest man. Ihr Roman ist autobiographisch.

Meine Sterne gibt es für die Sprache ('sie hält sich in einer Art verschwommenem Rand meiner Wahrnehmung auf (72)'. Der Autorin gelingt, Gefühlsmomente geschickt in Sprache zu verwandeln, z.B. Enttäuschung, vergebliche Hoffnung: 'Es kommt vor, dass das, was nicht passiert, das Wichtigste ist, was einem an diesem Tag geschieht (217)'. Gut gefallen haben mir auch die Seiten, auf denen nur 1-2 Sätze stehen.Kreativ, so schön anders.

Ansonsten ist mir der Roman einfach too much. Langatmig. Das Ganze hätte man bestimmt straffen können. Es ist anstrengend, Johanna auf 400 Seiten in ihren Denkspiralen und Hypothesen zuzuhören, ausnahmslos aus der Ich-Perspektive, man möchte zwischendurch selbst weglaufen oder aber die Mutter schützen, teilweise schreibt die Autorin redundant und das Ende, möge die Protagonistin es als Befreiungsschlag empfunden haben, ließ die Leserin in einer schlechten Stimmung zurück. Das muss eigentlich nicht sein, wenn ich ein Buch lese, schon gar nicht in Krisenzeiten wie den aktuellen. Aus meiner Warte keine Kaufempfehlung, das Buch ist die 24 Taler nicht wert.