Rezension

Langatmiger Icherzähler

Der Platz an der Sonne - Christian Torkler

Der Platz an der Sonne
von Christian Torkler

Bewertet mit 3 Sternen

Nach einem Dritten Weltkrieg in den 50ern gehört Berlin zur Neuen Preußischen Republik, die Teil der Afrikanischen Union ist. Die Stadt ist nie wieder auf die Füße gekommen, Verkehr und Energieversorgung sind ein einziges Chaos und die Berliner hangeln sich durch einen Verhau aus Korruption und florierender Schattenwirtschaft. In den Ruinen suchen elternlose Kinder nach Verwertbarem. Mancher Leser wird bis dahin nur geringe  Unterschiede zur Gegenwart feststellen. Doch „die Bongos“ aus Kinshasa scheinen wie eine neue Kolonialmacht zu regieren, das Sagen im Land haben Partei und Militär. 1978 wird Joshua Brenner geboren als Sohn einer gottgläubigen Mutter. Joshua schuftet anfangs als Handlanger auf dem Bau, bis er sich zum Taxifahrer hocharbeitet und schließlich eine Bar eröffnet. Die Bar entsteht praktisch aus dem Nichts, weil viele Leute Joshua gern einen Gefallen tun. Er verkennt allerdings, dass jeder Gefallen eine Verpflichtung ist und er allen Helfern Gegenleistungen schuldet. Joshua arbeitet praktisch Tag und Nacht, sieht Frau und Kind kaum noch, kann den Kampf gegen die herrschende, leistungsfeindliche Parteidiktatur jedoch nur verlieren. Wie jemand in Behörden "von Pontius zu Pilatus geschickt" wird, haben Uderzo/Goscinny bereits unvergesslich dargestellt – und genauso ergeht es Joshua. Als er feststellt, dass seine Kosten für Miete, Gehälter, Schutzgelder + alle Gefallen, die er noch schuldet, weit über 100% betragen, hat Joshua endgültig die Nase voll. Einem nackten Mann sollte auch die korrupteste Diktatur nicht noch in die Tasche greifen. Eine Ansichtskarte seines Kumpels Roller von einem Strand irgendwo in Afrika hatte Joshua schon länger den Floh von einer Flucht in den Süden ins Ohr gesetzt. Auch im postapokalyptischen Berlin gibt es Vermittler für Schlepperleistungen – für Flüchtlinge aus Europa nach Afrika. Mitten im europäischen Winter macht Joshua sich gemeinsam mit Willi auf den Weg Richtung Westen, immer abhängig davon, dass Informanten und Helfer ihn nicht übers Ohr hauen. Als Kind seiner Zeit hat Joshua keine anderen Informationsmöglichkeiten, als das, was andere Menschen behaupten. Wenn der Roman auch sonst kaum etwas zu meiner Horizonterweiterung beigetragen hat, fand ich diesen Zusammenhang sehr einprägsam. Wer die Glaubwürdigkeit von Nachrichten selbst nicht überprüfen kann, wird zwangsläufig zum Spielball obskurer Interessen.

Viel später wird  Joshua irgendwo auf der anderen Seite des Planeten geraten, sein Leben niederzuschreiben, um seinen Frieden damit zu machen.

Joshua ist es nicht gegeben, in seinem Erlebnisbericht Ereignisse zusammenzufassen, Wichtiges hervorzuheben und seine eigenen Fehler zu erkennen. Dass die „Neue Preußische Republik“ jeden Respekt vor ihren Bürgern vermissen lässt und das Fass irgendwann überlaufen muss, wäre in kürzerer Form vermutlich wirkungsvoller dargestellt. Wer sich unter der Redensart „Von Pontius zu Pilatus laufen“ etwas vorstellen kann, muss Joshuas Marathon um eine Kneipenlizenz nicht wörtlich nacherzählt bekommen. Allein die Vorgeschichte, die zu Joshuas Flucht führte, umfasst mehr als die Hälfte der knapp 600 Seiten.  Die Idee, den Istzustand der Armutsflucht umzudrehen, finde ich zwar pfiffig,  Christian Torklers Kombination aus Postapokalypse und alternativer Weltgeschichte gerät durch die Ichperspektive allerdings sehr schlicht nacherzählt und entschieden zu weitschweifig.