Rezension

Langeweile & Genialität

Meine geniale Freundin - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante

~~Inhalt (übernommen)

In einem volkstümlichen Viertel Neapels wachsen sie auf, derbes Fluchen auf den Straßen, Familien, die sich seit Generationen befehden, das Silvesterfeuerwerk artet in eine Schießerei aus. Hier gehen sie gemeinsam in die Schule, die unangepasste, draufgängerische Lila und die schüchterne, beflissene Elena, beide darum wetteifernd, besser zu sein als die andere. Bis Lilas Vater sein brillantes Kind zwingt, in der Schusterei mitzuarbeiten, und Elena mit dem bohrenden Verdacht zurückbleibt, das Leben zu leben, das eigentlich ihrer besten, ihrer so unberechenbaren Freundin zugestanden hätte.

Charaktere

Elena Greco und Raffaella Cerullo sind die beiden Hauptcharaktere im Roman, wobei wir Raffaella - oder auch Lila, wie sie von Elena genannt wird - nur durch die Sicht von Elena kennen lernen, da der Roman als eine Art Memoiren Elena´s geschrieben ist.

Elena ist ein eingeschüchtertes junges Mädchen, als sie Lila kennen lernt. Beide reden nicht viel miteinander und müssen sich erst einmal "beschnuppern". Elena will so sein, wie sie Lila in ihrer kindlichen Naivität sieht: Stark, mutig und besser als alle anderen. Sie tut alles, um ihr zu gefallen. Auch die Jahre über bis hin ins Teenager-Alter ändert sich ihre Absicht nicht. Die eigentlich Bessere, Klügere und Vernünftigere der beiden sieht sich immer noch klein und unscheinbar und tut alles, was sie tut, nur um Lila zu gefallen. Damit ist sie mir manchmal auf die Nerven gegangen. Sie hat sich zu sehr von anderen - allen voran Lila - bestimmen lassen, obwohl diese das gar nicht von ihr verlangt hatten. Diesen Weg hat sie sich selbst ausgesucht. Oder wollte sie im Grunde nur gefallen? Wollte im ärmlichen Italien Anerkennung? Verstehen kann ich das, aber bei Elena ging das fast bis zur Selbstaufgabe.

Lila hingegen war schwer einzuschätzen. Sie tat mir leid, ich fand sie zeitweise unmöglich, aber auch liebevoll, zuvorkommend und aufrichtig. Ich glaube, sie hat insgeheim gewusst, dass sie die Schwächere der beiden ist und wollte so sein wie Elena. Sie hat relativ schnell ihren Biss und ihre Naivität verloren und sich den anderen angepasst - obwohl sie nie so sein wollte. Vielleicht lag es am Verhalten ihrer Eltern, die sie nicht auf die weiterführende Schule gehen lassen wollten, oder aber sie hat die Stärke gegenüber Elena nur vorgetäuscht, weil sie spürte, dass sie sie brauchte. Aus ihr bin ich leider nicht schlau geworden.

Eines hatten sie doch gemeinsam: Sie wollten aus ihrem Leben etwas machen und zu Geld kommen. Wobei die Wege, die sie eingeschlagen haben, unterschiedlicher kaum sein konnten: Die eine heiratet reich, kapituliert, verrät scheinbar ihre Träume und die andere setzt auf schulische Bildung, zu der sie nur gekommen ist, weil sie der anderen gefallen wollte.

Die Beziehung der beiden entwickelt sich im Laufe des Romans. Vom gemeinsamen Puppen spielen bis hin zu den ersten Liebelein teilen sie fast alles miteinander. Ich hatte den Eindruck, dass es Elena erst gut ging und sie aufgeblüht ist, als sie längere Zeit durch Schule und Ferien von Lila getrennt war und ihrem "Einfluss" entzogen war. Aber immer wieder hat sie die Nähe zu Lila gesucht, obwohl sie gespürt hat, dass diese ihr nicht gut tut.

Schreibstil

Elena Ferrantes Schreibstil war gewöhnungsbedürftig. Und das meine ich durchaus nicht negativ. Durch viele Wiederholungen und lange Sätze habe ich eine Zeit lang gebraucht, um in die Geschichte zu finden. Auch die vielen Namen und Verwandtschaftsverhältnisse sind zu Beginn sehr viel. Aber da hilft einem super die Übersicht im Buch und der kleine Flyer als Beilage weiter (den fand ich super, da man nicht immer wieder zurückblättern musste!). Aber das Durchhaltervermögen hat sich gelohnt: Das letzte Drittel war brillant! Ich hatte den Eindruck, dass sich der Schreibstil dem Alter der Protagonisten angepasst hat: Von "einfach" und teilweise wirklich langweilig (Beginn), wurde er immer anspruchsvoller und literarischer.
Was mir gut gefallen hat, mit wie viel kindlicher Nüchternheit Ferrante über den Krieg erzählt hat und welche Auswirkungen er auf Elena und Lila hat, obwohl die beiden ja nicht gewusst haben, wie es wirklich war. Ein Satz ist mir im Gedächtnis geblieben, der vielleicht meine Formulierung etwas klarer macht: "So war unsere Welt, voller Wörter, die töteten: Krupp, Tetanus, Flecktyphus, Gas, Krieg, Drehbank, Trümmer, Arbeit, Luftangriff, Bombe, Tuberkulose, Vereiterung." (S. 32/33).

Fazit

Ein wunderbarer Roman über Freundschaft, Träume und Realität, der leider auch zu Beginn seine Schwächen hatte. Schade finde ich, dass die Geschichte eigentlich aus vier Bänden besteht (was beim ersten Klapptext lesen nicht ersichtlich war) und wir hier bei "Meine geniale Freundin" den Weg von Elena und Lila nur bis ins Teenager-Alter begleiten dürfen.