Rezension

Langsam lesen und genießen

Phon -

Phon
von Marente de Moor

Bewertet mit 5 Sternen

Nadja und Lew sind die letzten verbleibenden Bewohner eines abgelegenen westrussischen Dorfes, dessen Einwohnerzahl seit über einem Jahrzehnt offiziell 0 beträgt. Die Beiden leben überwiegend autark, nur selten kommt noch ihr Sohn mit einigen Lebensmitteln vorbei. Nadja kümmert sich um Haus und Hof, füttert die Tiere und umsorgt ihren viel älteren Ehemann, der einst ihr Dozent war. Auf der anderen Seite des Dorfes, fast schon mitten im Wald gelegen, stehen die Ruinen ihres früheren gemeinsamen Traumes. Ein zoologisches Forschungslabor, das Stadtkindern die örtliche Fauna erlebbar machen sollte, jedoch aufgrund einer Tragödie vor langer Zeit schließen musste. Nun lauscht Nadja Nacht für Nacht in den Wald, wartet auf das Rattern eines fernen Zuges, welcher hin und wieder vorbeirauscht. Dem geheimnisvollen Lokführer gilt Nadjas Sehnsucht, verbindet doch beide irgendwie eine Form der Verbundenheit, die ihrer beiden Einsamkeiten umfasst - er im hellerleuchtetem Zug, sie im dunklen Wald.
Noch dazu treten neuerdings seltsame Geräusche am Himmel auf - ein Mysterium, das sich jeder Erklärung entzieht. Wie trompetende Wolken ziehen die Geräusche über den Himmel, scharren und knirschen, als ob Gott Möbel verrücke. Ein bedrohlicher Missklang, der sich wie ein Schatten über das Leben der beiden einsamen Dörfler legt, und zudem auch längst verdrängte Erlebnisse wieder zu Tage bringt.

"Phon" ist das Hintergrundrauschen des Lebens, anhand dessen Marente de Moor von einer tragischen, gut verschwiegenen Vergangenheit erzählt. Nadja, die eine tiefe Liebe zum Land mit der nationalen Personifikation Mütterchen Russland verbindet, lebt entfremdet von ihrem Mann in Einsamkeit und Abgeschiedenheit. Der Westen gilt hier immer noch als fremdes Feindbild, doch mit der Forschungsstation werden nach und nach auch Europäer angezogen, die von Nadja "Europastandardschicki" genannt werden. Das Buch erzählt rückwärtsgewandt von einem Unfall, welcher Nadjas Leben einst aus den wohlgelenkten Bahnen schob, vermischt clever die Gegenwart mit der Vergangenheit und spinnt ein interessantes Gedankenkonstrukt, das dem Buch eine angenehm-leichte Spannung verleiht.

Marente de Moor erzählt in wunderschöner, langsamer Sprache von einem idealistischen Paar in der Wildnis Russlands, den Widrigkeiten eines einsamen Lebens in Abgeschiedenheit, dem folkloristischen Glaubensschatz und der Schönheit der russischen Natur. Und sie schreibt vom Vergänglichen, der Hoffnung und den Anstrengungen des Verzeihens. Atmosphärisch aus dem Niederländischen übersetzt von Bettina Bach ist "Phon" kein Buch zum schnellen Lesen, wohl aber zum Genießen der sehr zartgesponnenen Sprache. Leseempfehlung!